Weltmeister   Jack Johnson war ein prachtvolles Exemplar von einem Schwarzen und Lebemann, den Arthur bei Boxkämpfen und beim Training kennengelernt und seinerzeit in Paris und Berlin herumgeführt, in die Nachtlokale von La Chapelle und am Alexanderplatz gelotst und auf dessen Kosten er in den Bars von Montmartre und Kurfurstendamm geschwoft hatte, wo man mitten unter der galanten Welt, in Gesellschaft von Drogensüchtigen und Homosexuellen, Champagner soff und teure Zigarren rauchte, alles nur zum Spaß, versteht sich!

In Barcelona trieb es Jack Johnson im Hafen und im Bairo Chino ziemlich bunt. Zu dieser Zeit war der schwarze Champion mehr oder weniger disqualifiziert - wegen irgendwelchen Zuhältereigeschichten -und hatte sich schon mit der Polizei von sämtlichen europäischen Ländern angelegt. Er hatte von allem genug. Sein Traum war, in die States zurückzukehren und seine Boxerlaufbahn wieder aufzunehmen, aber er konnte sich nie entschließen, weil er einen Strick am Bein hatte, eine deutsche Baronin, die ihn noch in den anrüchigsten Spelunken, in denen er Zuflucht suchte, aufstöberte. Obendrein fühlte er sich nicht in Form, und, wie bei Cravan, herrschte auch in seiner Kasse Ebbe. Ich weiß nicht, von wem die Idee stammte, aber die beiden Gevatter wurden rasch einig: Man beschloß, einen sensationellen Box-Match zu veranstalten, der als Rückkehr des Weltmeisters in den Ring aufgezogen wurde. Der goße schwarze Meister J.J. setzte seinen Titel gegen den Challenger, Arthur Cravan, «den Neffen Oscar Wildes, den Dichter und Boxer, den Dichter mit dem kürzesten Haar der Welt», aufs Spiel. Die spanischen Manager zäumten das Ding großartig auf. Die Reklame lief auf vollen Touren, wie für eine Corrida, Plakate in allen Straßen von Barcelona, Artikel in den katalanischen Zeitungen und so weiter. Die Neugier, die Erregung des Publikums wurde immer mehr aufgepeitscht, man balgte sich um die Eintrittskarten, die Preise wurden hochgetrieben - und es war jämmerlich! Big Jack kam nicht um seine Weltmeisterschaft, aber um das bißchen Ehre, das ihm noch geblieben war, und zeigte sich danach nie wieder im Ring. Und was Cravan betraf...

Der schöne Arthur stellte sich in Positur und hielt seine beiden behandschuhten Fäuste vors Gesicht...    - Blaise Cendrars, Sternbild Eiffelturm. Zürich 1982 (zuerst 1949)

Weltmeister (2) Skip Cannell erzählte mir einmal, wie der große Johnson sich bei einer Schlägerei in einem Pariser Café verhalten hatte. Man riß die Beine von den Stühlen, um sich damit zu prügeln. Als die Sache vorbei war und die Lichter wieder angingen, fand man den Weltmeister völlig verängstigt unter einem Tisch.

»An dieser Art von Kampf bin ich nicht interessiert«, sagte er freimütig.  - (wcwa)

Weltmeister (3)   Townley ließ sich praktisch widerstandslos von Paolo Uzcudun, dem baskischen Holzfäller, mit einer sauberen Rechten ans Kinn k. o. schlagen. Und Criqui wurde von Frush, einem Amerikaner, in der achten Runde besiegt: ein guter Kampf, der typisch französisch endete. Criqui, früher mal Weltmeister im Leichtgewicht, hatte im Krieg eine Gesichtsverletzung davongetragen, die es nötig machte, ihm eine Platte in den Unterkiefer einzusetzen. Aber er wollte kämpfen, und so gab man ihm die Chance, gegen diesen jüngeren Amerikaner anzutreten. Frush tat offensichtlich sein Möglichstes, den Mann nicht zu verletzen; Criqui, der dies spürte, begann auf ihn ein/udreschen, bis Frush nach der siebten Runde endlich genug hatte und seinem Gegner mit einem Schlag den Kiefer brach, womit der Kampf beendet war. Sobald er erkannte, was er angerichtet hatte, brach Frush in Tränen aus, lief zu dem alten Champion hin, packte ihn unter den Armen und führte ihn an die Seile.  - (wcwa)

Weltmeister (4) Seit ich zurückdenken kann, war Mr. Feeney immer mein Favorit unter den Kindern des Unglücks. Nach einem Schwätzchen mit Mr. Feeney ging ich immer mit offenem Munde staunend fort, daß er noch lebte. Mit Hilfe der Akten des Bellevue Hospitals lokalisierte ich diese Zielscheibe des Mißgeschicks schließlich im Rockland State Hospital für Geisteskranke. Und wenige Stunden später servierte Mr. Feeney mir Tee. Sein liebenswerter Charakter hatte ihm offenbar den Posten als Faktotum in der Etage des stellvertretenden Krankenhausdirektors eingebracht. Aber mein zahnloser und gebeutelter Freund erkannte mich nicht mehr.

»Ich kann's nicht behaupt'n, daß ich mich an Sie erinnere«, grinste er, »aber auf der andern Seite erinner' ich mich an gar nix mehr. Wie zum Beispiel kam ich zu meiner gebroch'ncn Nase? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht war ich Preisboxer, vielleicht bin ich aber auch drauf gefallen, als ich betrunken war. Obwohl ich mir's nicht denken kann, daß ich je betrunken gewesen wäre - aber - in den Akten steht >Gewohnheits-trinker<. Na, kann ja sein, daß es stimmt, was da steht«, seufzte Mr. Feeney. »Ich kann Ihnen nur eins sagen - daß es 'ne gute Sache ist, rein gar nix über einen selbst zu wissen - ob man verheiratet war oder nich, wer einem was Böses angetan hat und lauter solche Sachen. Müssen 'ne Menge Leute gewesen sein, die mir was angetan haben, aber ich krieg' sie nich mehr zusammen. Ich muß auch an 'ner Menge Orte gewohnt haben, aber auch zu dem Thema meldet sich nix in meinem Kopf.

Alles, was ich weiß«, fuhr Mr. Feeney glücklich fort, »is, daß ich eines nachmittags hier aufgewacht bin und alle mich gut behandelt haben. Dreimal am Tag 'ne anständ'ge Mahlzeit, und jeder lacht über meine Witze. Ich bin ein bißchen zu alt für meinen eignen Geschmack, aber ansonsten hab' ich keine Beschwerden. Und wenn Se sich für int'ressieren, wer ich bin, dann sind Se neugieriger drauf als ich selber. Es gibt nur 'nen einz'gen Hinweis drauf, wer ich sein könnte, und den dürfen Se sich gerne angucken.«

Mr. Feeney überreichte mir ein vergilbtes Photo eines Jünglings von siebzehn Jahren. Auf der Rückseite stand »Für Dad - falls du mal sehen willst, wie ich aussehe - Dein Frank«. »Man hat das Foto bei mir gefunden«, sagte Mr. Feeney. »Aber ich nehm' an, ich hab's irgendwo gestohlen. Weil,

wenn ich irgend jemands Dad bin, das war mir 'ne große Neuigkeit.«

Ich stellte Mr. Feeney einige Fragen.

»Erinnern Sie sich nicht an die Dame in Süd Chicago, die mit dem Messer auf Sie einstach?«

»Mit dem Messer auf mich eingestochen? 'ne Dame?« Mr. Feeney grinste. »Tut mir leid, aber die Sache ist mir entfallen.«

»Und was ist mit den fünf Jahren, die sie in Joliet absaßen, weil Ihnen jemand einen Einbruch in die Schuhe geschoben hatte?« beharrte ich.

»Machen Sie bloß so weiter«, sagte Mr. Feeney. »Sie veräppeln mich wohl.«

»Und damals, als Sie gegen Johnny Coulon um die Meisterschaft im Bantamgewicht boxten - und verloren haben. Erinnern Sie sich auch daran nicht?«

»Moment mal«, Mr. Feeney grinste. »Jetzt sind Se vielleicht auf 'ner richt'gen Spur. Womöglich hin ich Wettmeister. Glauben Se mir, mit drei Mahlzeiten am Tag, 'nem warmen Bett und keinen Sorgen im Kopf- ich fühl mich wie einer.« Ich verließ die Etage des stellvertretenden Krankenhausdirektors mit einer zusätzlichen Bestätigung der Theorie, die ich in der Bowery aufgelesen hatte und die besagt, daß in unserer sich auflösenden Welt die Penner, Bettler und Verrückten die einzigen sind, denen es wirklich gut geht.   - Ben Hecht, 1001 Nachmittage in New York. Frankfurt am Main 1992 (it 1323, mit Zeichnungen von George Grosz, zuerst 1941)

 

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