elt, verkehrte Die Magellan-Straße ist ein Beispiel dafür, wie die Natur die Kunst nachahmt. Der Nürnberger Kartograph Martin Beheim hatte die Süd-West-Passage aufgezeichnet, damit Magellan sie entdeckte. Er war von einer ausgesprochen vernünftigen Annahme ausgegangen. Südamerika, wie besonders es auch sein mochte, war normal im Vergleich zu dem unbekannten antarktischen Kontinent, dem Antichthon der Pythagoreer, das auf den Karten des Mittelalters schlicht als NEBEL verzeichnet war. In dieser verkehrten Welt fiel der Schnee nach oben, die Bäume wuchsen in die Erde, die Sonne leuchtete schwarz und die sechzehnfingrigen Antipoden tanzten sich selbst in Ekstase.
WIR KÖNNEN NICHT ZU IHNEN
GEHEN, hieß es, SIE KÖNNEN
NICHT ZU UNS KOMMEN. Es war klar, daß dieses schimärische Land vom Rest
der Schöpfung durch einen Wasserstreifen abgetrennt
sein mußte. - (
pat
)
Welt, verkehrte (2)
Welt, verkehrte (3)
Welt, verkehrte (4)
Welt, verkehrte (5)
Welt,
verkehrte (6) Halb gezogen, halb geschoben vom Soldaten
durchqueren Millemosche, Pannocchia und Carestia den Burghof und sehen eine
große Zahl von Menschen. Männer, Frauen, Alte, Kinder und sarazenische Soldaten
mit Krummsäbel und Turban gehen unter dem Schnee her, allein, man weiß nicht,
was sie wollen. Sie gehen allerorten herum im Burghof, weiter nichts. Die Frauen
weinen wohl, und die Männer, aufgepflanzt inmitten des Schnees, betrachten den
Himmel. Hin und wieder fliegt ein Gegenstand aus dem Fenster in den Burghof,
allein, niemand achtet weiter darauf. Darunter sind silberne Vasen und verzierte
Teller, Käse, Schinken, Schachbretter, Damebretter und Bronzelüster. Carestia
wurde sich auf der Stelle auf dieses Zeug stürzen, das niemand nicht siehet
oder so tut, als würde er es nicht sehen. Allein, der Soldat drangt ihn zusammen
mit Millemosche und Pannocchia eine breite Treppe hinauf, auf welcher einige
Männer mit entblößtem Rücken herunterkommen, und diese werden von Sarazenen
durchgepeitscht. Einer dieser Unglücklichen wendet sich zu seinem Durchpeitscher
um und bittet ihn, noch fester zu peitschen. Und dann dankt er es ihm. Jetzt
verstehen Millernosche, Pannocchia und Carestia gar nichts mehr. Hier scheinen
ja alle Dinge auf dem Kopf zu stehen. Aber warum ist der Schnee dann noch weiß?
Und warum haben sie dann noch Hunger? Wenn die Welt den umgekehrten Weg einschlägt,
müßten sie zuallererst den Bauch voll haben, die Menschen mit dem Kopf nach
unten gehen, die Alten jung, die Säuglinge alt sein. Oder sollte es sich vielmehr
um eine allgemeine Buße für ein großes Unheil handeln? - Luigi Malerba, Tonino Guerra: Von dreien, die auszogen,
sich den Bauch zu füllen. Roman aus dem Jahre 1000. Berlin 1996
Welt,
verkehrte (7) Als der alte Herr Zerrleder abends etwas zu spät
nach Hause kam, nahm ihn gleich sein Herr Schlingel Sohn über das Knie und walkte
ihn tüchtig durch. »In Zukunft«, sprach der Sohn zum Vater, »gebe ich dir überhaupt
keinen Hausschlüssel mehr, verstanden!« - Wir wissen nicht, ob es so ohne weiteres
begriffen wurde. Am andern Morgen bekam die Mutter von der Tochter eine schallende
Ohrfeige (weithinschallend ist das rechte Wort), weil sie zu lange vor dem Spiegel
gestanden. »Eitelkeit«, sprach die entrüstete Tochter, »ist eine Schande an
so alten Leuten, wie du bist«, und jagte die Arme in die Küche. Auf der Straße
und in der Welt trugen sich folgende beispiellose Dinge zu: Die Mädchen gingen
den jungen Herren um die Ecken nach und belästigten sie mit ihren Antragen.
Einzelne dieser also verfolgten Jünglinge wurden rot über die frechen Anreden
von heranstreichenden Damen. Eine solche Dame machte am hellen Tageslicht einen
offenbaren Angriff auf einen ganz unbescholtenen, gut beleumundeten Bürgerssohn,
welcher schreiend die Flucht ergriff. Ich selber, zügelloser und weniger tugendhaft,
ließ mich von einem jungen Mädchen abfangen. Ich sträubte mich eine Weile, jedoch
nur aus vorher studierter Ziererei, womit ich das feurige Mädchen nur noch mehr
reizte. Ich hatte das Glück, von ihm im Stich gelassen zu werden, was mir recht
war, da ich nur auf bessere Damen erpicht bin. - Robert Walser,
nach: Weltuntergangsgeschichten. Von Poe bis Dürrenmatt. Zürich
1981 (zuerst 1895)
Welt, verkehrte (8) Der Kressdorf hat den Gewehrlauf gesenkt und auf das Herz vom Brenner gezielt. Aber das Blut, also das Blut, also das ganze Blut ist dem Brenner hundert Stunden nach dem Verschwinden des Mädchens über die Stirn und über die Haare und über die Wangen und über das ganze Gesicht geronnen.
Das war fast so eine verkehrte Welt wie beim Herrn Jesus, wo man den immer nackt am Kreuz hängen sieht, weil da haben sie ihn hingenagelt, damit er nicht herunterfällt, aber zusätzlich hat er noch diesen Einstich bei den mageren Rippen, weil viel dürfte der nicht erwischt haben beim letzten Abendmahl, und da heißt es immer, die Soldaten haben ihm ins Herz gestochen, auf Nummer sicher, weil beim Kreuz allein weiß man nie so genau, womöglich stellt er sich nur tot, und dann spaziert er davon. Aber der Herzstich ist bei jedem Jesus rechts, sprich falsche Seite. Ich glaube, dass sie da unter den Rippen so herzwärts hinübergestochen haben, also wohlüberlegt von den Soldaten. Aber warum ist jetzt dem Brenner das Blut in einem regelrechten Bach über das Gesicht geschossen, obwohl das Jagdgewehr auf sein Herz gezielt hat?
Einfache Erklärung. Es war nicht das Blut vom Brenner. Es war das Blut vom Kressdorf. Nach hundert Stunden hat es mitten am fünften Tag den Kopf vom Kressdorf zerrissen, weil eine Kugel aus der Waffe des Kriminalpolizisten Peinhaupt ihn so genau getroffen hat, dass es wahrscheinlich das ganze prächtige Altbauzimmer versaut hätte, dass der Philodendron und der Gummibaum und die Zyklamen und der Asparagus und der Zimmerfarn und der Avocado und die Fleißigen Lieschen und die Orchideen und der Bambus und der Efeu und der Weihnachtskaktus und die Azalee voller Blut gewesen wären, wenn nicht der Brenner das meiste abgefangen hätte.
Das klingt vielleicht nicht schön, aber ehrlich gesagt, der Brenner hat sich
schon lange nicht mehr so gut gefühlt. - Wolf Haas, Der Brenner und der liebe Gott. Hamburg 2009
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