Weihnachtsserum   Im Februar 1942 wird im Bereich der 16. Armee, Ostfront, Nordabschnitt, Gasbrandserum in größeren Mengen verwendet. In Notfällen spritzen Feldärzte bis zu 50 ccm in die Venen. Dieses von der Industrie rasch in großen Mengen auf Grund der Erfahrung vom November 1941, wenige Tage Entwicklungszeit, Produktion in den Weihnachtstagen, n Tage für die Auslieferung, daneben läuft Erprobung weiter, produzierte Mittel enthielt einen Zusatz von 0,5% Phenol, der Sterilität wegen. Man hätte vermutlich auch auf andere Weise das Serum in den kleinen Ampullen steril erhalten können, aber Phenol war das billigste und einfachste. Die einfache empfohlene Schutzdosis betrug z bis 3 ccrn. Stabsarzt Rusche sah in dem kleinen Ort Sabolotje zu, wie 30 ccm aus einem Glasbehälter gespritzt wurden. Der verwundete Soldat bekam einen schweren anaphylaktischen Schock, Gesicht zyanotisch, d.h. tiefblau. In wenigen Minuten »löschte er aus«. Stopp, Stopp, rief Rusche, der gegenüber den operierenden Ärzten erhöhte Befehlsgewalt in Sonderauftrag des Armeearztes besaß. Aber der Kollege, der eben noch versucht hatte, in langen Schnitten den Oberschenkel des jetzt Toten zu öffnen, war schon nicht mehr Herr der Lage. Das Serum träufelte noch einen Augenblick in den Oberschenkel des Toten, bis die Operationsschwester eine Klammer an dem Schlauch befestigt hatte, die die Infusion stoppte.

Ein Fahrer und ein Fahrzeug, rief Rusche. Er fuhr zum Armee-Gefechtsstand. Nach sieben Stunden durch Schneewächten kam er hier an. Die 2 Armee-Serologen, Krempe und Dennerlein, saßen in ihren gut geheizten Labors, die auf Lastkraftwagen montiert waren.

Rusche: »Menschenskind, Krempe, ich rechne Ihnen das im Kopf vor, wieviel Gesamtmenge von Phenol in 50 ccm enthalten sind. Sie können doch nicht zulassen, daß das Merkblatt ›in Notfällen bis zu 50 ccm‹ zuläßt.« Die Serologen wollten das nicht glauben. Rusche: »Dann rechnen Sie doch.« Dennerlein und Krempe rechneten nicht.

Sie versprachen, einen Kontroll versuch am Tier zu machen. Rusche: »Das ist mir zu unzuverlässig.« Dennerlein: »Wir haben ja auch Tiere gar nicht hier. Die befinden sich 60 km rückwärts.« Rusches Erregung tibertrug sich auf die Experten. Sie stellten eine Kochsalz-Phenol-Lösung her und injizierten sie sich gegenseitig in die Arme. Dennerlein bekam einen Kreislaufkollaps, blieb 3 Tage, von Rusche, der an sich anderes zu tun gehabt hätte, versorgt, krank liegen. Dennerlein lag in seinem unter Sommerverhältnissen höchst beweglichen Labor, schwindlig, flach, starb Tage später an Lungenödem. Nachdem einer der Forscher umgekommen war, der andere mit Dauerschäden in die Heimat überführt, wurde die Massenproduktion des neuen Gas-brandserums abgesetzt. Rusche: »Der Krieg ist der Vater aller Dinge, insbesondere des Denkens. Aber er ist nicht allgegenwärtig.« Der verdrehte Ansatz dieses Weihnachtsserums ist darauf zurückzuführen, daß die in der Chemie-Industrie arbeitenden Entwickler nicht unmittelbar betroffen sind. Es ist nicht ihre Not, sie können erst nachrechnen, was ihre Not ist, wenn Forscher ihrer Preisklasse selbst daran sterben oder Dauerschäden hinnehmen. Es ist nicht die Tatsache, daß für die Entwicklung dieses Serums nur knapp zwölf Tage zur Verfügung standen, sondern daß sie in dieser Zeit, in den Heimatlabors, nicht die Not empfanden, die sie erfinderisch macht. Zwei Stunden später wurden Rusche, 21 km von Krempes Todesort entfernt, 27 frische Bauchschüsse vorgelegt, deren Not Rusche wie eine eigene empfand, er empfand sich auch als erfinderisch, aber es gab keine Mittel, seine Vorschläge an Ort und Stelle umzusetzen.  - (klu)

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