Weichensteller  Der Weichensteller, ein älterer Mann namens Case, war wie jede Nacht, mit Ausnahme der Nacht von Sonntag auf Montag (sonderbar), in seinem Häuschen und wartete darauf, daß der durchfahrende Eilzug sicher durch die Bahnstation hindurchführe. Dann würde er seine Weichen stellen und nach Hause zu seiner vereinsamten Ehefrau gehen und eine leere Bahnstation hinterlassen.

Um die Zeit zu vertreiben und gleichzeitig seinen Geist zu bereichern, las Mr. Case ein Buch: Landstreicherlieder von George Rüssel (A. E.). Mr. Case hatte den Kopf zurückgeworfen und hielt dieses Buch am Ende seiner ausgestreckten Arme. Mr. Case hatte einen für einen Weichensteller sehr verfeinerten Sinn für Lektüre.
Mr. Case las:


?
 

Mr. Cases dichter Schnurrbart folgte den Bewegungen seiner Lippe, die, bald aufgeworfen, bald geschürzt, die verschiedenen Klänge, aus denen diese Worte zusammengesetzt worden waren, umschmiegte. Auch seine Nase mit ihrer Knolle und ihren Löchern reagierte darauf. Die Pfeife wippte auf und ab, und aus dem Mundwinkel troff, unbemerkt, der Speichel auf die Weste aus Cordstoff.

Watt stand in dem Stellwerkhäuschen, wie er in der Küche gestanden hatte, mit seinen Taschen in seinen Händen, mit offenen, ruhenden Augen und mit dem Rücken zur offenstehenden Tür. Mr. Case hatte Watt einst, am Abend seiner Ankunft, durch die Fenster seines Stellwerks flüchtig gesehen. Sein Anblick war ihm also nicht fremd. Das kam ihm nun zustatten.
Könnten Sie mir wohl sagen, wie spät es war, sagte Watt.   - (wat)

Weichensteller (2)  1. Die Verantwortung eines weichenstellers der Union Pacific Ges. ist eine große, ihm obliegt die sorge um mensch und vieh, aber auch sachschaden hat er tunlichst zu vermeiden.

2. Der weichensteiler besitzt ein buch, in dem er immer liest, 10 jahre besitzt er dieses buch, aber er beginnt nach seite 77 jedesmal wieder von vorne, weiter würde er es nie lesen, er hat da so eine vorahnung. Blödsinn, murmelt er, und beginnt trotzdem wieder bei seite 1.

3. Die meiste zeit aber raucht er seine geliebte pfeife, er hat keine frau, er sieht den ersten stern am abendhimmel aufglänzen, er geht in das intime grün der brennesseln hinter dem haus austreten, er ist sonst ein frühaufsteher und trinkt nach dem essen ein bier.

4. Der letzte zug kommt stets um 21 uhr 35 durch, er sieht den letzten waggon in der ferne verschwinden, der bremser hat ihm zugewinkt, er ist seit Jahren sein freund, obgleich er noch nie mit ihm gesprochen hat.

5. Das buch des weichenstellers ist ein alter penny-shocker mit dem titel Der Mann vom Union Pacific Express. Heute beschließt er, den roman bis ans ende zu lesen, doch es schwant ihm nichts gutes.

6. Einmal stand ein fremder bremscr auf der hinteren plattform des letzten waggons; ob er ein aushelfer war?

7. Gegen 23 uhr wird der weichensteller durch einen ungewöhnlichen lichtschein aufmerksam, er geht vor das haus und sieht einen zug anrollen, der in keinem fahrplan verzeichnet steht, er rollt vollkommen lautlos an ihm vorbei, auf der plattforrn des letzten waggons steht der fremde von damals und bläst mundharmonika.

8. Der weichensteiler reibt sich die augen, ihm kommt das alles eigenartig vor, er ist ja ganz allein, er geht ins haus zurück, er trinkt ein extrabier und verklebt die Seiten 78 bis 126 mit kleister. So, meinte er, wäre es das beste.  - H. C. Artmann, Fleiß und Indusrtie (mit Frankenstein in Sussex). Frankfurt am Main 1969 (es 320)

 

Weiche

 

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