Weiber, verrückte   Ui! Ich stand wie angewurzelt in der Küche, dann ging ich zu Aljona und sagte, Oma ist verrückt geworden, worauf sie mir zur Antwort gab, du, du bist verrückt. Ich entgegnete ihr, es sei halb so schlimm, so was käme vor, so habe übrigens auch Tante Soundso, Omas Schwester, geendet, aber sie habe noch lange gelebt. Das sei vererbt. Aljona drehte sich schroff um und ging zur Großmutter, ich hörte sie leise reden, dann weinte Aljona und sagte «furchtbar». Worauf ich entgegensetzte, sie hätte schon längst auf mich hören und selbst zum Psychiater gehen sollen. Aljona lachte wie immer höhnisch, ohne zu wissen, daß ich bereits einen Nervenarzt konsultiert und sie in der psychiatrischen Sprechstunde angemeldet hatte, und der Arzt hatte sie bereits besucht, sich als Internist ausgegeben, Aljona hatte alle Fragen schroff beantwortet, wie auf Bestellung, und auf die Frage: «Warum bist du nicht in der Uni, warum gammelst du im Bett rum?» war sie aufgesprungen und demonstrativ aufs Klo gegangen, wo sie etwa fünf Minuten das Wasser laufen ließ, bis der Arzt weg war.

«Bist du etwa normal?» fügte ich hinzu. «Guck dich doch selber an. Du bist wieder nicht zur Uni, die ganze Nacht liest du, und morgens kommst du nicht aus den Federn. Das ist doch eine typische Psychose. Eine Erbkrankheit ist so eine Sache, meine Liebe.»

Ich sagte das alles nur, um sie aufzumöbeln, zu schockieren, aber mein Herz blutete, der Sohn in Haft, die Mutter erstirbt in sich, Menschen, betet für mich, wie die Geniale1 schrieb.   - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante.  Berlin 1991 (zuerst 1990)

1 Anna Achmatowa

 

Weib Verrückt

 

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