Weg, undefinierbarer

Es gibt ein chaotisch gestaltetes Wesen,
das war schon vor Himmel und Erde.
Still und leer,
steht es allein und verändert sich nicht,
kreist es und erschöpft sich nicht.
Vielleicht ist es die Mutter der zehntausend Dinge.
Ich kenne seinen Namen nicht,
daher nenne ich es den Weg.
Ich finde keinen besseren Namen
und bezeichne es als groß.

Es ist groß,
und es fließt dahin,
es fließt immer weiter,
und auch wenn es wegfließt,
kommt es zurück.

Der Weg ist groß, der Himmel ist groß,
die Erde ist groß,
und auch der Mensch ist groß.
Dies sind die vier großen Kräfte des Universums,
und der Mensch ist eine davon.

Der Mensch folgt der Erde,
die Erde folgt dem Himmel,
der Himmel folgt dem Weg,
der Weg folgt seiner eigenen Natur.

Weg, undefinierbarer (2)

Schau hm, du wirst es nicht sehen -
man nennt es: unsichtbar.
Horche, du wirst es nicht hören -
man nennt es: unhörbar.
Greif danach, du wirst es nicht fassen -
man nennt es: unfaßbar.

Diese drei sind unergründlich,
deshalb sind sie zu einem Einzigen
miteinander verbunden.
Es strahlt nicht von oben,
und doch ist es von unten her nicht dunkel.

Wie ein unendlicher Faden,
und doch nicht zu beschreiben.
Es kehrt zurück ins Nichts.
Man nennt es: die Gestalt des Gestaltlosen,
das Bild des Wesenlosen;
unvorstellbar

und jenseits aller Phantasie.
Du stehst davor, doch du siehst sein Gesicht nicht,
du folgst ihm, doch du siehst seinen Rücken nicht.

Bleib auf dem uralten Weg,
um das Reich der Gegenwart zu meistern.
Die Fähigkeit, den Anfang allen Seins zu erkennen,
nennt man den Faden, der sich durch den Weg zieht.

Weg, undefinierbarer (3)

Weg, udefinierbarer (4)

Weg, udefinierbarer (5)

Der große Weg führt überallhin,
nach beiden Seiten, links und rechts;
die zehntausend Dinge verdanken ihm ihr Dasein,
doch er erhebt keinen Anspruch auf Macht.
Er vollendet sein Werk,
doch er erhebt keinen Anspruch auf Ehre.
Er hegt und pflegt die zehntausend Dinge,
doch er beansprucht nicht, ihr Herr zu sein.
Weil er ewig wunschlos ist,
kann er klein genannt werden;
aber weil er, wenn die zehntausend Dinge sich ihm zuwenden, nicht beansprucht, ihr Herr zu sein,
kann er groß genannt werden.
Er strebt nicht nach Größe,
deshalb kann er seine Größe verwirklichen.

 - Alles aus: Lao Tse, Tao-Te-King. Zürich 1996

Weg, undefinierbarer (7) Ursprunglos sagte: «Tao kann nicht gehört werden. Was gehört werden kann, ist nicht Tao. Es kann nicht gesehen werden. Was gesehen werden kann, ist nicht Tao. Es kann nicht gesagt werden. Was gesagt werden kann, ist nicht Tao. Was den Gestalten Gestalt gibt, ist selbst gestaltlos; also ist Tao namenlos.»

Ursprunglos sprach weiter: «Wer einem antwortet, der nach Tao fragt, kennt Tao nicht. Mag einer auch von Tao hören, in Wahrheit hört er nichts von Tao. Um Tao gilt kein Fragen, über Tao gilt kein Antworten. Das Unfragbare fragen ist eitel. Das Unbeantwortbare beantworten ist wesenlos. Und wer zum Eitlen das Wesenlose paart, der hat keine äußere Wahrnehmung des Zusammenhangs, der hat keine innere Wahrnehmung des Urgrunds — der wird den Gipfel des heiligen Berges nicht ersteigen, der wird sich in die große Leere nicht schwingen.» - Tschuang-Tse

Weg, undefinierbarer (8)  Kung-Kuo-Tse fragte Tschuang-Tse: «Was Ihr Tao nennt — wo ist es zu finden ?»

Tschuang-Tse antwortete: «Da ist nichts, wo es nicht wäre.»

«Gebt mir doch ein Beispiel», sagte Tung-Kuo-Tse.

«Es ist in dieser Ameise.»

«Tiefer!»

«Es ist in diesem Unkraut.»

«Noch tiefer!»

«Es ist in diesem Tonscherben.»

«Noch tiefer!»

«Es ist in diesem Kothaufen», sagte Tschuang-Tse.

Tung-Kuo-Tse schwieg,

«Eure Frage, Herr», sprach Tschuang-Tse weiter, «rührt an das Wesen nicht. Wenn Huo, der Oberaufseher der Märkte, den Marktleiter über die Fettheit der Schweine befragte, wurde die Probe an den Teilen gemacht, von denen man Fettheit am wenigsten voraussetzen konnte. Suche aber nichts Besonderes herauszuheben: da ist kein Ding, das sich versagte. Solcher Art ist das vollkommene Tao. Und solcher Art ist auch das urbildliche Wort. Ganzheit, Vollständigkeit, Allheit, das sind die Namen, die verschieden klingen und doch das gleiche meinen. Ihr Sinn ist das Eine.

Versucht mit mir das Schloß des Nirgendwo zu erreichen, und da, inmitten der Einheit aller Dinge, führt Euer Gespräch ins Unendliche. Versucht mit mir Nichttun zu üben, darin Ihr unbewegt ruhen könnt, sorgenrein und glückselig. Da wird mein Geist abgelöst. Er wandert nicht, und ist doch des Ruhens unbewußt. Er kommt und geht, und ist doch des Einhalts unbewußt. Rückwärts, vorwärts, alles Zieles unbewußt — auf und nieder im Schrankenlosen, wo auch der größte Gedanke kein Ende finden kann.

Das, was die Dinge dazu macht, was sie sind, ist nicht in den Dingen beschränkt. Die Schranken der Dinge begrenzen nur ihre Dinglichkeit. Tao ist die Schranke des Schrankenlosen, die Schrankenlosigkeit des Beschränkten. Wir reden von Fülle und Leere, Erneuung und Verfall. Tao wirkt Fülle und Leere, aber es ist weder Fülle noch Leere. Es wirkt Erneuung und Verfall, aber es ist weder Erneuung noch Verfall. Es wirkt Wurzel und Krone, aber es ist weder Wurzel noch Krone. Es wirkt Sammlung und Zerstreuung, aber es ist weder Sammlung noch Zerstreuung.» - Tschuang-Tse

Weg Definition

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

Tao

 

Synonyme