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blutiger
- Du willst abtrünnig werden, Detlev. Willst du wirklich nach Hamburg zurückfahren
in das Land der Protestanten? Die haben nicht den rechten Glauben. Den Evangelischen
ist der Weihrauch zu teuer. Die Pfarrer haben keine schönen Kleider an. Ministranten
und Glöckchen gibt es nicht. Du willst vor den Prüfungen, die Gott dir schickt,
weglaufen. Du knickst zusammen, aber du warst ausersehen, ein Stadtpfarrer zu
werden und vielleicht sogar ein Bischof mit einem vergoldeten spitzen Hut. Nun
fährst du zurück und willst den blutigen Weg nicht weitergehen. Du hättest dich
über die Sünden erheben können und wärst ins Paradies eingezogen. Das weiß ich
bestimmt. Warum geht dir der Atem aus? Wir alle tragen schwer am Kreuz. Deins
ist dir so schwer, weil du erst acht bist und weil du gar nichts von deinem
Vater weißt. Aber die Jungfrau Maria und der Herr Jesus Christus haben dich
zu etwas Höherem bestimmt. Wir werden schon arg genug gepreßt, und aus uns wird
nie groß was werden. Wir haben keinen Vater und keine Mutter mehr. Der Alfred
ist ein verdorbener Bruder, der alle gottlos quält, das Wackerl läuft wie eine
Ente. Er wird es nie zu etwas bringen, denn ehe er was angefangen hat, lachen
ihn schon alle aus. Alfred endet als Einbrecher. Das fühl ich, und die Rosi
ist dumm wie ein Faß. Wir sind nicht allein mit unserem Unglück. Du bist nicht
allein mit deinem Unglück. Anna hat die Krämpfe, und wer weiß, wie lange sie
in Ruhe ihre Krämpfe haben darf. Sogar die heiligen Schwestern müssen sich quälen
und sterben zum Schluß wie jeder andre. Sie fahren nicht mit Knochen und Fleisch
in den Himmel. Die Haare müssen sie sich abscheren lassen. Sie dürfen kein einziges
Haar unter den Hauben tragen. Sie seifen sich jeden Sonnabend die Glatzen ein
und rasieren sich eine der anderen die Stoppeln ab. Manchmal schneiden sie sich
und man kann die Blutflecken an den weißen Hauben sehen. Der Erzbischof geht
über den großen Onkel, wie deine Mutter sagt, und der Papst hat den Schluckauf.
Sogar der Kriegel hat sein Kreuz. Wenn der Kriegel aus den Polen nicht die Arbeit
herausschindet, dann setzen die von der Partei ihn ab und peitschen ihn und
seine Frau und seine Kinder schlimmer als er die Kriegsgefangenen gepeitscht
hat. Das schwerste Kreuz tragen die Pfarrer in dieser Zeit. Aber manche werfen
es ab, wie du,es abwerfen willst, und predigen das Totschießen in der Messe
und scheißen sich bei dener^von der Partei ein. Aber dafür verlieren sie die
ewige Seligkeit, denn in der Bibel steht: Du sollst nicht töten. - Und als Petrus
das Ohr abgeschlagen hatte, um den Herrn Jesus Christus zu verteidigen, da hob
Jesus es auf und klebte es wieder an. Klag nicht, Detlev, denk, wovor dich das
Waisenhaus bewahrt hat. Denk, wie schrecklich sich die Bombenangriffe hier aus
der Entfernung anhören. Weißt du, wie viele kleine Jungen unter den Trümmern
verreckt sind! Denk an den Peter, den sie einfach abgeholt haben -und weiß keiner,
was aus ihm wird, und wie viele es gibt, die abgeholt werden wie der Peter.
Dich hat niemand abgeholt, denn die Schwestern lieben dich sehr. Und wenn dich
das alles nicht abbringen kann, wenn du immer noch glaubst, du leidest zuviel,
dann denk an deine Mutter. Du brauchst mir nichts zu erklären. - Hubert
Fichte, Das Waisenhaus. Berlin 1985 (zuerst 1965)
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