anderratten
 

Die Wanderratten

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die lebenden lassen die toten zurück.

Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.

Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.

Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frißt,
Daß unsre Seele unsterblich ist.

So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs Neue zu teilen die Welt

Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen - die Zahl ist Legion.      "

O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und Keiner weiß Rat.

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hochwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder!

Heut helfen euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.

Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet von Göttinger Wurstzitaten.

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.

- Heinrich Heine

Wanderratten (2)  Der Wanderratte gedenkt, wie es scheint, schon Älian, der von Einwanderung der »kaspischen Maus« spricht; sie stammt wohl aus Indien oder Persien, setzt 1727 bei Astrachan über die Wolga und wurde 1732 aus Indien nach England verschleppt. 1750 erschien sie in Ostpreußen, 1753 in Paris, 1780 war sie in Deutschland überall häufig, in der Schweiz aber erschien sie erst 1809. Nach Nordamerika gelangte sie 1755. Gegenwärtig findet sie sich überall, wo nur Handelsverbindungen mit Europa bestehen, and bewohnt Häuser, Ställe, auch Höhlen an den Ufern langsam fließender Gewässer. Sie klettert und schwimmt sehr gut, erwürgt junge Gänse, Enten und Küchelchen, junge Kaninchen, Tauben, mitunter sogar alte Hühner; sie frißt fetten Schweinen und brütenden Truthennen Löcher in den Leib, und auch kleine Kinder frißt sie an; an Getreide, Kartoffeln, Obst etc. richtet sie in Kellern und Kammern den empfindlichsten Schaden an. Sperrt man eine Gesellschaft von Wanderratten zusammen, so frißt eine die andere auf. Wo sie einrückt, verschwinden alsbald die Hausratten, denn sie werden unbarmherzig von ihr niedergemacht. Die R. leben gern gesellig, kriechen oft in einem gemeinsamen Nest zusammen, fressen aber eine krepierte Genossin sofort auf. - Georg Eyring, nach: Der Rabe 38, Zürich 1993
 

Ratte

 

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