ahrnehmungsvermögen
1. Die Fähigkeit, sich zu erinnern
und folgerichtig zu denken, ist, wenn überhaupt, nur wenig verringert.
(Wenn ich mir anhöre, was ich unter der Einwirkung des Meskalins gesagt
habe, kann ich nicht finden, daß ich irgendwie dümmer
war als gewöhnlich.)
2. Visuelle Eindrücke sind erheblich verstärkt, und das Auge gewinnt einiges von der Fähigkeit zu unbefangener Wahrnehmung zurück, die es während der Kindheit besaß, als das durch die Sinne Wahrgenommene nicht sogleich und automatisch einem Begriff untergeordnet wurde. Das Interesse für Räumliches ist verringert und das Interesse für die Zeit sinkt fast auf den Nullpunkt.
3. Obgleich der Verstand
unbeeinträchtigt bleibt und das Wahrnehmungsvermögen ungeheuer verbessert
wird, erleidet der Wille eine tiefgreifende Veränderung zum Schlechteren.
Wer Meskalin nimmt, fühlt sich nicht veranlaßt, irgend etwas zu tun, für
ihn sind die meisten Anlässe, bei denen er zu gewöhnlichen Zeiten zu handeln
und zu leiden bereit war, äußerst uninteressant. - Aldous Huxley, Die Pforten der Wahrnehmung.
München 1989 (zuerst 1954)
Wahrnehmungsvermögen (2) Am Abend gegen zehn Uhr öffnete Michael Murdoch zum erstenmal die Augen und erblickte über sich das freundlich-besorgte Gesicht von Schwester Warrener. Sie lächelte ihn an, und er registrierte mit hypersensibilisiertem, fast schmerzhaft scharfem Wahrnehmungsvermögen jede kleinste Unregelmäßigkeit ihrer kräftigen weißen Zähne und die Goldkrone ganz hinten, dort, wo das Lächeln schon fast nicht mehr hinreichte. «Fühlen Sie sich besser?»
Er fühlte eigentlich gar nichts, nicht einmal Erstaunen, daß er hier lag,
und nickte nur leicht mit dem Kopf, weil das am einfachsten war. Er schloß wieder
die Augen und spürte plötzlich, wie er fiel und fiel und fiel... Ihm brach der
kalte Schweiß aus, doch eine kühle Hand auf seiner Stirn holte ihn wieder zurück,
und er beruhigte sich. Doch nur für einen Moment. Dann öffnete sich sein Mund
zu einem stummen Schrei des Entsetzens. Vor Grauen wie gelähmt, beobachtete
er, wie die große, braune Ratte neben seinem Ohr
unaufhaltsam Zentimeter um Zentimeter näher kam, während ihr nackter, rosa Schwanz
tief und tiefer in sein Ohr glitt. Ihre spitze Schnauze war leicht geöffnet,
und er wußte, daß sie sich im nächsten Moment mit ihren scharfen kleinen Zähnen
hineinfressen würde in jene grauweiße Masse direkt vor ihr. Die Masse war sein
Gehirn. - Colin Dexter, Die Toten von Jericho.
Reinbek bei Hamburg 1986
Wahrnehmungsvermögen (4) Immer wieder verblüffen die Kakerlaken mit ihren erstaunlichen Fähigkeiten. Fühlen sie sich bedroht oder werden sie bei einem nächtlichen Freßgelage etwa in einer Backstube überrascht, so flüchten sie mit der imponierenden Geschwindigkeit von nahezu 30 Zentimetern pro Sekunde in Ecken und Ritzen, wo ihnen dank ihrer platten Körperform selbst unscheinbare Hohlräume noch Schutz bieten. Bei den nordamerikanischen Schaben hat man sogar ein primitives Sozialleben ähnlich dem der staatenbildenden Insekten beobachtet- ein Zeichen bemerkenswerter Wandelbarkeit.
Tagsüber bevorzugen die Schaben solche Verstecke,
in denen ihr Körper rundum berührt wird, so daß
ihnen der hautnahe Kontakt mit Mauerwerk oder Holz auch schwächste Erschütterungsreize
vermittelt. Droht Gefahr, so warnen sie sich gegenseitig, indem sie entweder
Geruchsstoffe aus speziellen Drüsen absondern oder Geräusche mit den Flügeldecken
und ihren arn Boden schleifenden Beinspornen hervorbringen. Sich nähernde Schritte,
selbst Katzenpfoten, nehmen sie mit ihrem hochempfindlichen Erschütterungssinn
in »Subgenualorganen« an den Beinen wahr. Außerdem verfügen sie über zahlreiche
»Hörhaare« auf den fühlerartig gegliederten Hinterleibsspornen (Cerci), die
auf Luftbewegungen durch Schallwellen ansprechen und Nervenimpulse direkt an
die Beine senden. Die amerikanische Schabe Periplaneta fuliginosa reagiert daraufhin
innerhalb einer 54tausendstel Sekunde mit Flucht.
- Theo Löbsack, Das unheimliche Heer. Insekten erobern die
Erde. München 1991
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