ahrnehmung, geschärfte  Am ersten Tag des Aufstands fuhr ich gegen Mittag vom Musée de l'Homme auf dem Fahrrad, das während der gesamten Besatzungszeit mein tägliches Fortbewegungsmittel gewesen war, nach Hause. Ich hatte mich gerade in Richtung des Pont de la Concorde gewandt, um vom rechten zum linken Seine-Ufer zu gelangen, als ich mich plötzlich zwischen einer Blutlache (von der ich erriet, daß sie frisch vergossen worden und menschlichen Ursprungs war), die sich rechts von mir auf dem Trottoir ausbreitete, und einem links von mir stehenden deutschen Panzerwagen mit Soldaten mit Stahlhelmen auf den Köpfen und Waffen in den Fäusten befand. Einige Sekunden lang war ich mir meines ungeschützten, unbewaffneten und bloßen Körpers bewußt und empfand überdeutlich das Gewicht meines Gesäßes auf dem Fahrradsattel und wie meine Füße auf den Pedalen lasteten, wobei die Dimension des Raums nur noch aus der Entfernung bestand, die mich rechts von der Blutlache und links von dem stählernen Fahrzeug trennte, und auch die Zeit nahm ich nur noch als eine Dimension wahr, die geschaffen wurde durch die Bewegung des von meinen Beinmuskeln angetriebenen Fahrrads, das meine Position im System mit jedem Augenblick verbesserte.

Verglichen mit der Angst, die aufkommt, wenn man sich etwas ausmalt (zum Beispiel in den Händen einer Polizei wie der Gestapo zu sein und der Dinge zu harren, die sie mit einem anstellt oder nicht anstellt), haftete meiner körperlichen Furcht, als Zielscheibe genommen zu werden, etwas Zwiespältiges und beinahe Angenehmes an: das Bewußtsein des eigenen Körpers war ungeheuer geschärft, ganz wie in der Sinneslust, wo sich gleichzeitig mit der übersteigerten Gegenwart eines anderen Körpers unsere eigene Natur als Organismus enthüllt, der in diesem Augenblick in einem Vakuum steht (oder wie auch immer sich befindet), das durch nichts anderes als ihn und den anderen Körper ausgefüllt wird, dessen berauschende Wirklichkeit, das Empfinden unserer eigenen Wirklichkeit verstärkend, anscheinend nur dann noch um einen Grad gesteigert werden kann, wenn man den anderen Körper gleichzeitig mit dem eigenen entblößt.  - Michel Leiris, Die Spielregel 2. Krempel. München 1985 (zuerst 1955)