affe, gebrechliche  Ich schabte an ihrem Puls: mit dem Finger, doch jetzt grub sich nicht mehr der Nagel des anderen Daumens in ihre Haut. Dies besorgte nun jene kleine Klinge, schnitt in sie hinein, durchschnitt sie, zerschnitt mit festem Ruck auch ihre Adern. Sie tat einen unterdrückten kehligen Schrei, zog ihre Hand zurück, schien sich wieder zu beruhigen; aber gleich danach mußte sie sich naß gefühlt haben und setzte sich hastig auf; gewiß hat sie das Nachttischlämpchen anmachen wollen. Nicht doch, das durfte sie nicht: durfte nicht, weil sie eben nicht durfte, um ihrer selbst und um des Entsetzens willen, das sie ergreifen würde, wenn sie sich so sähe. Doch nicht mehr danach stand jetzt mein Sinn, jetzt hatte sich alles an Ruchlosem, Abscheulichem, Unbekanntem, Wildem und Triumphierendem, was sich in einem Mann begeben kann, in mir entfesselt; und ebenso alles an Freiem, Frohlockendem, Wohltuendem, Gerechtem, Unfaßlichem und Himmlischem. Nicht mehr Sklavin blinder Instinkte war meine Seele, sondern ganz im Gegenteil befreit in ihrem Muß; oh, verstehe mich recht, wer auch immer diese Seiten lesen wird, nicht befreit von ihrem, sondern in ihrem Muß (vielleicht demselben, das über ihre Seele wachte?). Was geschah, konnte nicht anders als geschehen.

In jenem finsteren Raum benutzte ich mit Ungestüm meine gebrechliche Waffe. Krallte mich in den Hals, den ich als erstes fand; dann, immer weiter abwärts, in eine nachgiebige Brust, in den blassen Leib, in die noch erregbaren Schenkel, in die vergebens ausgebreiteten Arme, in die Perlhände und überallhin. Aber ein noch verbliebener Wille oder eine dunkle Macht wandte meine Hand von ihrem Gesicht ab; nur einmal begegnete sie der feuchten Zunge und konnte sich nicht zurückhalten.

Dieser vergötterte Körper mußte zu einer einzigen offenen Wunde geworden sein. Und sie wehrte sich fast nicht, sie schrie, schrie auf ihre Art, wimmerte; aber bald verstummte sie und lastete viel schwerer auf meinem Arm denn als Lebende. Und dann, erst dann fand ich Frieden. - Tommaso Landolfi, Die Stumme. In: T. L., Die Stumme. Reinbek bei Hamburg 1991

 

Waffe

 

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