Wadenkrampf Frl. Dr. Auguste  ging mit Würde ins Hinterhaus, um dort in gleicher Weise wie bisher nach dem Verbleib des jungen Mädchens zu fragen, das sich vor ca. 3 Stunden von 4 Genossen getrennt hätte, um in 5 zu gehen. Zunächst fiel ihr 3, 4,5 sehr auf. Das war Rhythmus. Aber lange konnte sie nicht hierüber hin- und herdenken, wieso das wohl von Wichtigkeit wäre, denn sie bekam beim eiligen Auf- und Absteigen einen Wadenkrampf. Es war ihr sehr unangenehm. Sie hatte es etwas eilig. In allen. Türen standen neugierige Mäuler. Und Frl. Dr. Auguste mußte der Ruhe pflegen, wobei die Wade lebhaft schmerzte. Sie dachte zunächst über die Begriffe Ramm und Wadenkrampf nach. Ramm ist gewissermaßen ein Wadenkrampf im Fuße, und Wadenkrampf ist ein Ramm im Unterschenkel. Maulsperre ist auch so ähnlich. Und es war immerhin noch ein Glück, daß Frl. Dr. Auguste nicht Maulsperre statt Wadenkrampf bekommen hatte. Sie hätte ja auch plötzlich etwa Gehirnerweichung bekommen können, und dann hätte sie die grandiose Verfolgung ihrer Idee vorzeitig aufgeben müssen. Auguste war ein dankbares Wesen, und sie erzählte es allen Leuten, die in den Türen standen, wie gut es wäre, daß sie bloß Wadenkrampf hätte. «Da müssen Se mitten Filzschuh drauf haun», sagte eine Dame. Frl. Dr. bat um einen Filzschuh und konnte nun die Verfolgung ihrer Idee wieder aufnehmen. In der fünften Etage zweite Tür sagte man ihr, die Dame wäre vielleicht in Nr. 5 gegangen, dieses wäre Nr. 6. Frl. Dr. Auguste sagte «Dankeschön» und ging ein Haus weiter, Vorderhaus und Hinterhaus, je 12 Wohnungen. Zwischendurch kam der Wadenkrampf wieder, dann lieh sie sich wieder einen Filzschuh. Plötzlich verlor sie einen Absatz. Aber was bedeutet das gegenüber der Ewigkeit?  - Kurt Schwitters, Auguste Bolte. Erzählung. Zürich 1966 (zuerst 1923)
 

Wade Krampf

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Synonyme