Vorwort   Bevor ich weitergehe auf dem Wege der geringwertigen, durchschnittlichen, nicht ganz menschlichen Schrecklichkeiten, muß ich erklären, rationalisieren, begründen, auseinandersetzen und ordnen, muß den Hauptgedanken herausschälen, aus dem sich alle anderen Gedanken dieses Buches herleiten, und die Urqual aller hier berührten und hervorgehobenen Qualen aufzeigen. Und ich muß eine Hierarchie der Qualen einführen und eine Hierarchie der Gedanken, das Werk analytisch, synthetisch und philosophisch kommentieren, damit der Leser wisse, wo der Kopf, wo die Füße, wo die Nase, wo die Ferse und wo die anderen Teile sind, damit man mir nicht vorwerfe, ich sei mir der eigenen Ziele nicht bewußt und gehe nicht geradeaus, gleichmäßig steif, wie die größten Schriftsteller aller Zeiten, sondern daß ich sinnlos meinen Teil (im Kreis) zusammendenke. Doch welches ist die Haupt- und Grundqual? Wo ist die Urqual des Buches? Wo bist du, Urmutter der Qualen? Je länger ich grüble, forsche und analysiere, desto deutlicher sehe ich, daß eigentlich die Haupt- und Grundqual, wie mir scheint, einfach die Qual der schlechten Form, des schlechten Exterieurs ist, oder anders gesagt, die Quälerei der Phrase, der Grimasse, der Miene, der Fresse - ja, dies ist die Quelle, der Born, der Anfang, und von hier entspringen harmonisch ausnahmslos alle übrigen Leiden, Rasereien und Schmerzlichkeiten. Aber vielleicht müßte man eher sagen, die Haupt-und Grundqual ist nichts anderes als das Leiden, das uns aus der Beschränkung durch einen anderen Menschen erwächst, aus der engen, schmalen, steifen Vorstellung, die sich der andere Mensch von uns macht, und in der er uns erstickt und würgt. Oder vielleicht liegt dem Buche zugrunde die kapitale und mörderische Qual

der nicht ganz menschlichen Grünheit, der Keime, der Blättchen und Knospen
oder die Qual der Entwicklung und der Nichtganzentwicklung
und vielleicht das Leiden der Nichtganzgestaltung, der Nichtganzformung
oder die Qual der Erschaffung unseres Ich durch andere die Qual physischer und psychischer Vergewaltigung
die   Tortur   dynamisierender    zwischenmenschlicher Spannungen
die schräge und nicht näher erklärbare Qual psychischer Schräge
die seitliche Qual der Verrenkung, Verdrehung, des psychischen Kikses
die unaufhörliche Qual des Verrats, die Qual der Falschheit
die automatische Quälerei des Mechanismus und Automatismus
die symmetrische Qual der Analogie und die analoge Qual der Symmetrie
die analytische Qual der Synthese und die synthetische Qual der Analyse
und vielleicht die Qual der Körperteile und die Qual der Störung der Hierarchie der einzelnen Glieder das Leiden gutartigen Infantilismus des Popos,
der Pädagogie, des Schulwesens und des Schulunwesens
der untröstlichen Unschuld und der Naivität
der Entfernung von der Wirklichkeit
der Chimäre, des Hirngespinstes, der Fiktion, des Blödsinns
des höheren Idealismus
des niederen, obskuren und winkelhaften Idealismus zweitrangiger Träumerei
und vielleicht die sonderbare Qual der Kleinheit, der Verkleinerung
Qual des Kandidatseins
die Qual des Aspirantseins
die Qual des Referendarseins
und vielleicht einfach die Qual des sich Anstrengens und Anspannens über sein Können hinaus, und die daraus  folgende Qual des allgemeinen und besonderen Nicht-Könnens
die Qual der Selbstüberhebung und des Lobens über den grünen Klee
das Leiden der Erniedrigung
die Qual höherer und niederer Poesie
oder die dumpfe Qual der psychischen Sackgasse
die verkehrte Qual der Verdrehung, der Winkelzüge, des unerlaubten Griffes
oder eher die Qual des Alters im engeren und weiteren Sinne
die Qual der Unmodernität
die Qual der Modernität
das Leiden infolge Entstehung neuer gesellschaftlicher Schichten
die Qual Halbintelligenter die Qual Nichtintelligenter die Qual Intelligenter
und vielleicht einfach die Qual der klemintelligenzlerischen Unanständigkeit
der Schmerz der Dummheit
der Klugheit
der Häßlichkeit
der Reize, Zauber, Schönheiten
oder vielleicht die Qual mörderischer Logik und Konsequenz in der Dummheit
die Qual des Rezitierens 
die Verzweiflung des Nachahmens
die langweilige Qual der Langeweile und des Sich-Wiederholens
oder vielleicht die hypermanische Qual der Hypermanie
die unaussprechliche Qual des Unaussprechlichen
die Schmerzhaftigkeit des Nichtsublimierens
der Schmerz der Finger
des Fingernagels
des Zahns
des Ohrs
die Qual der entsetzlichen Gleichrangigkeit, der Abhängigkeit, des gegenseitigen Sich-Durchdringens, der gegenseitigen Abhängigkeit aller Qualen und aller Teile (sowie die Qual von einhundertsechsundfünfzigtausend-dreihundertvierundzwanzig und einer halben anderen  Qual, nicht gerechnet die Frauen und Kinder, wie ein gewisser alter französischer Autor des 16. Jahrhunderts gesagt hätte.

Welche Qual nun zur grundlegenden Urqual machen und welchen Teil als Integral nehmen, wo das Buch anpacken und was aus obenerwähnten Qualen und Teilen auswählen? Verfluchte Teile! Werde ich mich denn niemals von euch befreien? O welch ein Reichtum an Teilen und welch ein Reichtum an Qualen! Wo denn ist die oberste Urmutter, und welche Qual als Basis nehmen: die metaphysische oder die physische, die soziologische oder die psychologische? Und dennoch muß ich, muß ich und kann nicht umhin; denn die Welt wäre imstande zu behaupten, daß ich mir meiner Ziele nicht bewußt sei und daß ich mir meinen Teil (im Kreis) zusammendenke. Aber dann wäre es vielleicht klüger, schlicht die Genesis des Werkes zu bearbeiten und mit Worten zu verdeutlichen, und das nicht auf Grund der Qualen, sondern angesichts, hinsichtlich und in Anbetracht dessen, daß es entstand

in Anbetracht der Pädagogen und Schüler der Schulen angesichts dümmlicher Klugredner
in bezug auf vertiefte und erhöhte Wesen
hinsichtlich der Hauptgestalten der zeitgenössischen nationalen Literatur sowie der vollendetsten, konstruiertesten und versteiftesten Vertreter der Kritik
angesichts der Oberschülerinnen
in Anbetracht der Reifen und der Weltmenschen
in Abhängigkeit von Modefatzken, Zieraffen, Narzissen, Ästheten, Schöngeistern und Habitués
hinsichtlich der vom Leben Geformten  .
in Gefangenschaft bei den Kulturtanten
in Anbetracht der städtischen Hausbesitzer
angesichts der ländlichen Gutsbesitzer
in bezug auf die kleinen Provinzärzte, Ingenieure und Beamten von engem Horizont
in bezug auf die höheren Beamten, Ärzte und Advokaten von weiterem Horizont
in Anbetracht des Bluts- und anderen Adels angesichts des gemeinen Volkes.Vielleicht aber wurde das Werk empfangen aus der Qual des Verkehrs mit einer konkreten Person, wie zum Beispiel mit dem ganz besonders abstoßenden Herrn XY, mit Herrn Z, den ich mit Füßen trete, und NN, der mich langweilt und quält — o die fürchterlichen Qualen, mit ihnen zu verkehren! Und vielleicht ist die Ursache und das Ziel dieses Buches lediglich, daß ich diesen Herren meine Verachtung zeigen, sie nervös, wild und wütend machen und mich ihnen entziehen will. In solchem Falle wäre die Ursache konkret, privat und persönlich.
Vielleicht aber entstand das Werk aus der Nachahmung von Meisterwerken?
Aus der Unfähigkeit, ein normales Werk zu schaffen?
Aus Träumen?
Aus Komplexen?
Vielleicht aus Kindheitserinnerungen?
Vielleicht hatte ich begonnen, und es kam mir dann so irgendwie aus der Feder?
Aus Angstpsychose? 
Aus Aufdringlichkeitspsychose?
Vielleicht aus einem Kügelchen?
Aus einer Prise?
Aus einem Teil?
Aus einem Teilchen?
Aus dem Finger? 

Es wäre auch festzustellen, zu beurteilen und zu definieren, ob es ein Roman, ein Tagebuch, eine Parodie, ein Pamphlet, eine Variation auf das Thema einer Phantasie, eine Studie ist - und was in ihm vorwiegt: Scherz, Ironie oder tiefere Bedeutung, Sarkasmus, Persiflage, Schmähung, Blödsinn, pure nonsense, pure blague, und weiter, ob das nicht dennoch Pose, Angeberei, Verulkung, Künstlichkeit, Mangel an Witz, Anämie des Gefühls, Atrophie der Einbildungskraft, Unter­minieren der Ordnung und Verfall der Vernunft ist. Doch die Summe dieser Möglichkeiten, Qualen, Definitionen und Teile ist so unerfaßbar und so unfaßbar und so unerschöpflich, daß man bei tiefster Verantwortlichkeit für das Wort und nach penibelster Erwägung sagen muß, daß nichts Genaues weiß man nicht, put, put, put, mein Hühnchen.  - (fer)

 

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