orhang   Rede eines Selbstmörders kurz vor der Tat aufgesetzt.

Freunde! Ich stehe jetzo vor der Decke im Begriff sie aufzuziehen, um zu sehen ob es hinter derselben ruhiger sein wird als hier. Es ist dieses keine Anwandlung einer tollen Verzweiflung, ich kenne die Kette meiner Tage aus den wenigen Gliedern, die ich gelebt habe, zu wohl. Ich bin müde weiter zu gehen, hier will ich ganz ersterben oder doch wenigstens über Nacht bleiben. Hier nimm meinen Stoff wieder, Natur, knete ihn in die Masse der Wesen wieder ein, mache einen Busch, eine Wolke, alles was du willst aus mir, auch einen Menschen, aber mich nicht mehr. Dank sei es der Philosophie, daß mich jetzo keine fromme Possen in dem Zug meiner Gedanken stören. Genug ich denke, ich fürchte nichts, gut, also weg mit dem Vorhang! — — - (licht)

Vorhang (2) Der heiße Wind kommt von Süden her; die Sonne sieht aus wie eine braun gewordene Silberplatte, eine zweite Windhose strebt auf uns zu. Das kommt näher wie der Rauch einer Feuersbrunst, rußfarben mit ganz schwarzen Tönen an der Basis, es rückt vor ... es rückt vor . . . der Vorhang erreicht uns, unten ist er zu Voluten gebauscht mit breiten, schwarzen Fransen. Wir sind eingehüllt, der Wind fegt so heftig, daß wir uns an unsere Sättel klammern, um nicht herunterzufallen. Als der heftigste Ansturm des Orkans vorüber ist, regnet es kleine Steine, die der Wind hochtreibt; die Kamele drehen ihren Hintern um, bleiben stehen und lassen sich niederfallen.  - (orient)

Vorhang (3) Ihr Unterrock war rot und blau sehr breit gestreift und sah aus, als wenn er aus einem Theater-Vorhang gemacht wäre. Ich hätte für den ersten Platz viel gegeben, aber es wurde nicht gespielt.  - (licht)

Vorhang (4)

- Volker Kriegel (Die Zeit, seinerzeit)

Vorhang (5) Kurz nachdem ich mein Zimmer betreten hatte, wich die „gläserne Dumpfheit". Ich setzte mich, mit dem Blick auf eines der Fenster, und war sofort gebannt: die Fensterflügel waren weit geöffnet, die durchsichtigen Gazevorhänge dagegen zugezogen, und nun spielte ein leichter Wind von draußen mit diesen Schleiern und mit den Schattenbildern der Topfpflanzen und Blattranken auf dem Sims dahinter, die das Sonnenlicht auf die in der Brise atmenden Vorhänge malte. Dieses Schauspiel nahm mich völlig gefangen. Ich „versank" in ihm, sah nur noch dieses sanfte und unaufhörliche Wogen und Wiegen der Pflanzenschatten in Sonne und Wind. Ich wußte, was „es" war, aber ich suchte nach dem Namen dafür, nach der Formel, nach dem „Zauberwort", das ich kannte - und da hatte ich es auch schon: TOTENTANZ, TANZ DER SEELEN. . . Das war es, was der Wind und das Licht mir zeigten auf dem Schleier der Gaze. War es furchtbar? hatte ich Angst? Vielleicht - zuerst. Aber dann zog eine große Heiterkeit in mich ein, und ich hörte die Musik der Stille, und auch meine Seele tanzte mit den erlösten Schatten zur Flöte des Windes. Ja, ich begriff: dies ist der Vorhang— und er selbst, dieser Vorhang, IST dieses Geheimnis, das „letzte", das er verbirgt. Warum also: ihn zerreißen? Wer das tut, zerreißt nur sich selbst. Denn „dahinter", hinter dem Vorhang, ist „nichts". . .  - Rudolf Gelpke (1962), nach: Albert Hofmann, LSD - mein Sorgenkind (1979)

Vorhang (6)

- DR

Vorhang (7)

 - Konstantin Somov

Vorhang (8)  Koan:

Mõgen vom Seiryo-Kloster war dabei, vor dem Essen einen Vortrag zu halten, als er feststellte, daß der Bambusvorhang, den man für die Meditation heruntergelassen hatte, nicht hochgerollt worden war. Er wies darauf hin. Zwei Mönche aus der Zuhörerschaft erhoben sich und rollten ihn hoch.

Mõgen, der sie beide in ihrer körperlichen Bewegung beobachtete, sagte: „Der erste Mönch hat es, der zweite nicht."

Mumons Kommentar:

Ich möchte euch fragen: Welcher dieser zwei Mönche hat es und welcher nicht? Wenn einer von euch ein Zen-Auge hat, wird er den Fehler auf des Lehrers Seite sehen. Ich jedoch diskutiere nicht über „haben" und „nicht haben".

Mumons Gedicht:

Wenn der Vorhang aufgerollt ist, öffnet sich der große Himmel,
Doch ist der Himmel nicht in Einklang mit Zen.
Am besten vergißt man den großen Himmel
und zieht sich von jedem Wind zurück.  - (hof)

Vorhang (9)  Die Wand ihnen gegenüber bewegte sich. Sie bestand aus Bächen oder Schnüren von fahlgrauer Farbe und wies eine Art Peristaltik auf. Von links nach rechts liefen in gleichmäßigen Abständen wellenförmige Erhebungen darüber hin. Es sah aus wie ein Vorhang aus einem ungewöhnlichen Stoff, hinter dem in gleichmäßigem Abstand Elefanten vorbeischritten und ihn dabei streiften -eigentlich noch größere Tiere als Elefanten. Als sie endlich die Stelle erreichten, wo der schmale, gefurchte, mit samtenem Moos bewachsene Pfad endete, wurde der bittere Geruch unerträglich. »Das können giftige Ausdünstungen sein«, warnte der Kybernetiker, der einen Hustenanfall bekam. Sie beobachteten eine Weile das gleichmäßige Vorübergleiten der Wellen. Aus einer Entfernung von wenigen Schritten kam ihnen der »Vorhang« homogen vor, wie aus dicken, matten Fasern geflochten. Der Doktor hob einen Stein auf und warf ihn dagegen. Der Stein verschwand, als sei er   geschmolzen   oder   verdampft,   ohne   die   wogende   Flächi berührt zu haben.

»Ist er hineingefallen?« fragte der Kybernetiker zögernd. »Nein!« schrie der Chemiker. »Er hat es nicht einmal berührt.« Der Doktor hob  eine Handvoll Steine und Erdklumpen unc warf sie nacheinander dagegen. Alle verschwanden wenige Zentimeter vor dem  »Vorhang«, ohne Ihn erreicht zu haben.  Dei Ingenieur löste einen Schlüssel von einem kleinen Schlüsselbunc und schleuderte ihn gegen die gerade anschwellende Fläche. Dei Schlüssel klirrte, als schlüge er gegen Blech, und verschwand. »Was jetzt?« Ratlos sah der Kybernetiker den Koordinator an. Der schwieg. Der Doktor legte den Rucksack ab, holte eine Konservendose hervor, schnitt mit dem Messer einen Würfel Fleischgelee heraus und warf ihn gegen den »Vorhang«. Das Geleestück blieb an der matten Oberfläche hängen und klebte ein Weilchen daran, dann schwand es allmählich, als ob es schmolz. »Wißt ihr was«, sagte der Doktor mit leuchtenden Augen, »das da ist ein Filter, eine Art selektiver Vorhang. . .« Der Chemiker entdeckte im Gurtring seines Rucksacks einen abgebrochenen dürren Trieb einer »Spinnenpflanze«, der beim Durchwandern  der  Schonung  dort hängengeblieben war,  und warf ihn kurzerhand gegen den wogenden Vorhang. Der spröde Zweig prallte von der Wand ab und fiel ihnen vor die Füße. »Ein Selektor. . .«, sagte er unsicher.

»Aber ja! Ganz bestimmt!« Der Doktor näherte sich dem »Vorhang«, bis sein kurzer Schatten am Boden den Rand des »Vorhangs« berührte, zückte seine schwarze Waffe, zielte und drückte ab. Kaum hatte der nadeldünne Strahl den aufgeblähten Vorhang getroffen, entstand darin eine linsenförmige Öffnung. Dahinter wurde ein großer, dunkler Raum sichtbar, in dem unten und oben Funken sprühten und weiter hinten eine Unzahl weißlicher und rosafarbener Flämmchen züngelte. Der Doktor zuckte zusammen, keuchte und hustete. Der bittere Geruch stach ihm in Nase und Rachen. Sie zogen den Doktor ein Stück zurück. Die Öffnung verengte sich. Die Wellen wurden langsamer, wenn sie sich ihr näherten, wichen ihr oben und unten aus und schwammen flugs weiter. Die Öffnung verengte sich weiter. Plötzlich ragte von innen etwas Schwarzes heraus, das in einem fingerähnlichen Fortsatz endete, und lief blitzschnell um den Rand der Öffnung, die sich sofort schloß. Wieder standen sie ratlos vor der regelmäßig sich bauchenden Hülle.   - Stanislaw Lem, Eden. Roman einer außerirdischen Zivilisation. München 1974

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