orabend    SICH NICHT LUMPEN LASSEN.   Brief eines zum Tode Verurteilten am Vorabend seiner Hinrichtung:

»Lieber Freund, morgen werde ich in aller Frühe zur Guillotine geführt. Im Grunde sähe ich es lieber, wenn diese Operation nicht stattfände, da meine Gesundheit nichts zu wünschen übrigläßt, aber mir scheint, daß mein Fall keine Begnadigung zuläßt.

Ich habe mein Leben damit verbracht, mich nicht lumpen zu lassen. Damit ist das große Wort gefallen, und morgen werde ich mich noch weniger lumpen lassen, weil man mir den Kopf für alle diejenigen abhacken wird, die sich stets lumpen lassen und deswegen in der Kloake ihres Gewissens verkommen. Wie diese Herren Geschworenen glaubst Du wahrscheinlich, daß ich mich damit hätte zufriedengeben können, einige BÜRGER zu ermorden anstatt eine große Menge, aber mein expansives Wesen erlaubt es mir nicht, mich zu beschränken, und ich wollte mich nicht lumpen lassen.

Wenn ein Krämer oder ein Fischhändler seine Tochter verheiratet, könnte er sich mit einem Hochzeitsmahl zufriedengeben, bei dem die Überbleibsel seines Geschäfts oder sogar die Überbleibsel einiger anderer Geschäfte sparsame Verwendung finden. Er könnte es auch so einrichten, daß die zu seinem Vorteil höher angesetzte Rechnung dem jungen Gatten zu einem Zeitpunkt präsentiert wird, da seine Heiterkeit und Trunkenheit ihm eine genaue Prüfung unmöglich machen. Aber nein, er will sich nicht lumpen lassen, er will vor allem, daß man das sagt und ihn dafür achtet. In Wirklichkeit täuscht er sich, weil alle Tischgäste ganz im Gegenteil denken werden, daß er ein Idiot ist. Wer die ganze Hochzeit freizügig verhunzte, indem er keinerlei Interesse für irdische Belohnungen zeigte — das wäre einer, der sich nicht hat lumpen lassen.

Dieser Mann habe ich sein wollen. Man glaubt in mir einen mit ich weiß nicht welcher Bande verschworenen Anarchisten sehen zu müssen, während ich doch ein Einzelgänger und sanfter Träumer bin, dem Gesindcl feind und immer bereit, es zu bekämpfen. Man begreift einfach nicht, daß der BÜRGER dieses Gesindel ist, daß er kein Teil der Menschheit ist und daß Wesen, die nach dem Ebcnbildc Gottes geformt sind, das Recht und die Pflichthaben, ihn mit allen erdenklichen Mitteln zu vernichten. Man wird es später begreifen, wenn man die Adler herabstürzen sieht, die von den Schwaden des schrecklichen Misthaufens der Hausbesitzer und Händler erstickt wurden, am Großen Abend der verkündigten Zeichen und Umwälzungen.

Es ist unmöglich, Künstler zu sein, das heißt Zeuge des Höheren Lebens, ohne tagtäglich eine Schar BÜRGER zu vertilgen, zumindest durch das innere Verlangen, durch das lebendige und mächtige Verlangen nach dem Glanz, den sie verdunkeln. Und je liebesglühender ein Künstler ist, um so heftiger ist dieses Verlangen. Dichter wie Verlaine, Villiers de L'Isle-Adam oder Baudelaire haben Millionen davon vor dem Thron Gottes hingemetzelt, und ich werde morgen zur Guillotine geführt, weil ich ihr sichtbarer Arm gewesen bin.

Zwangsweise willige ich ein, im bitteren Bedauern darüber, so wenig Zeit gehabt zu haben, den Baum des Lebens zu entlausen. Wenn man mir den Kopf abgehackt hat, wird aus mir eine schöne Purpurhülle aufsteigen. - (bloy)

Vorabend (2)  Ich schaute noch einmal über die schlafenden Männer. Meiner abgespannten und doch aufgeputschten Phantasie schien es, als ob der Tod sie schon berührt hätte. Im Geiste sonderte ich bereits die aus, die dazu bestimmt waren, niedergemetzelt zu werden, und ein mächtiges Gefühl für das Geheimnis des menschlichen Lebens und eine unermeßliche Trauer über unsere Unzulänglichkeit und Schwermut schnürten mein Herz zusammen. Heute nacht schliefen diese Tausende ihren gesunden Schlaf, morgen würden sie und viele andere mit ihnen - wir vielleicht selbst unter ihnen - in der Kälte erstarrt sein; ihre Frauen Witwen, ihre Kinder ohne Vater, und nie mehr würden sie ihre Hütten wiedersehen. Nur der alte Mond würde ruhig herabblicken, der Nachtwind die Gräser streicheln und die weite Erde Rast halten, genau wie seit Äonen, bevor dies geschah, und wie in Äonen, nachdem wir vergessen sein werden.

Dennoch stirbt der Mensch nicht, solange die Welt zugleich seine Mutter und sein Grabmal bleibt. Sein Name ist zwar vergessen, aber der Odem, den er atmete, bewegt noch die Kiefernspitzcn auf den Bergen, der Klang der Worte, die er sprach, hallte noch wider durch den Raum, die Gedanken, die sein Hirn gebar, haben wir bis heute geerbt; seine Leidenschaften sind unseres Lebens Ursprung, die Freuden und Leiden, dir er empfand, sind unsere vertrauten Freunde, das Ende, vor dorn er entsetzt floh, wird bestimmt auch uns einholen!

Wahrlich, das Universum ist voll von Geistern, nicht mit Bettlaken, Kirchhofgespenstern, aber die unauslöschlichen und unsterblichen Urstoffe des Lebens, die können, wenn einmal gewesen, nimmer sterben. Freilich mischen sie sich und ändern sich und ändern sich wieder, für immer und ewig.

Allerhand Überlegungen dieser Art gingen mir durch den Sinn - denn seit ich älter wurde, ich muß es leider gestehen, scheint eine abscheuliche Art des Sinnierens von mir Besitz ergriffen zu haben. Da stand ich also und starrte auf diese grimmigen und doch phantastischen Reihen von Kriegern, die, wie ihre Redensart lautet, ›auf den Speeren« schliefen.‹

»Curtis«, sagte ich, »ich habe eine scheußliche Angst.«  - Henry Rider Haggard, König Salomons Schatzkammer. Zürich 1982  (zuerst 1885)

Vorabend (3)   Unsere Nervosität fiel ab, genauso die quälende Unrast. Wir waren wieder auf dem Damm. Unser Durst und unser Lachen milderten sich. Wir hatten das Heft in der Hand und fanden unsere normale Verfassung wieder, die Gemütsruhe, das Vertrauen, die Selbstsicherheit, jene Ruhe vor dem Sturm, jene letzte, beglückende Rast, jene Hellsichtigkeit, die den Vorabend jeder Gewalttat verklärt und gleichsam das Sprungbrett dazu ist. Das hatte nichts mit Glauben zu tun; wir glaubten nicht etwa plötzlich an die Heiligkeit unserer Aufgabe oder an eine Sendung. Ich habe diesen Zustand, der zugleich physisch wie psychisch eintritt, immer einzig und allein einer professionellen Deformation zugeschrieben, die man bei allen Tatmenschen beobachten kann, bei den großen Sportlern am Vorabend eines Wettkampfs genauso wie bei einem Geschäftsmann, der einen sensationellen Börsencoup vorbereitet. In der Tat als solcher steckt eben auch die Befriedigung, etwas zu tun, egal was, und das Glück, sich zu verausgaben.  - (mora)

Vorabend (4)  Es ist ein alter Spruch: Der Soldat hat kein bleibend Quartier. Alles ist geordnet und vorausbestimmt, man kann nichts mehr dazu tun, als sich ohne Vorbehalt zur Verfügung stellen. Nun heißt es nur noch nach altem Brauch sich mit einem unbekümmerten Trunke zu verabschieden von diesen vier kahlen Wänden, in denen sich Sicherheit und Schutz vor Feuer, Regen und Wind verkörperten, und auch von den Kameraden, von denen man nicht weiß, ob man jemals wieder mit ihnen zusammensitzen wird.

So werfe ich meine Mütze auf ein Bett und nehme mir eine Flasche von dem Wein, den flüchtende Einwohner in den Gartenbeeten vergruben, und den das Lager in der Erde zu hohem Range erhoben hat. Es ist ein schöner, alter Burgunder, der es wohl verdiente, wie ein Schatz verborgen zu werden, und der das Blut feurig macht; er war sicher nicht für unsere Kehlen bestimmt. Aber das schadet nichts, wenn er nur fröhlich stimmt. Und eine fröhliche Stunde gilt uns viel; wir haben keine Zeit, die Köpfe hängen zu lassen, denn am Vorabend der Schlacht strömt uns das Leben reicher und mächtiger zu.

So wollen wir denn wie schon so oft die bunten Vorhänge des Rausches vor das Spiel hängen, zu dessen donnernder Ouvertüre das Schicksal bereits den Taktstock erhoben hat. Diese vier jungen Offiziere, zu denen ich mich setze, kenne Ich 'schon lange und weiß, daß sie aus gutem Holze geschnitten sind. Wer sich in einem der Kampfregimenter lange hält und Immer wieder an der Front auftaucht nach seinen Verwundungen, den darf man getrost zu jener Auslese zählen, die später hoffentlich unter der Gestalt des Frontsoldaten verstanden werden wird. Denn hier hält sich keiner, und vor allem kein Offizier, der nicht wirklich den "Willen dazu besitzt. Hier weiß man auch genau über einander Bescheid, hier wird der Mann erkannt, ohne daß er große Redensarten zu machen braucht. So ist es denn auch überflüssig, zu erklären, mit welchen Gefühlen man der Zukunft entgegensieht. Die Stimmung ist gut, und wenn auch die Begeisterung lächerlich sein würde, so ist doch jeder vom Gefühle einer grimmigen Überlegenheit erfüllt. Hier, wo ein einziges "Wort genügt, um lange Ketten gemeinsam bestandener Erlebnisse in der Erinnerung aufblitzen zu lassen, genügt auch ein Zutrunk, um zu erkennen, wie es dem anderen wirklich zu Mute ist.

Wir sind an ein scharfes Zechen gewöhnt, denn wir haben bei allem, was wir taten, noch nie viel Zeit zu verlieren gehabt. Immer kann der Alarmbefehl schon geschrieben sein, und da ist es schade um jeden Tropfen, der nicht getrunken, um jeden Augenblick, der nicht genossen wird.

Das Gespräch wird laut und hitzig, das Lachen unbekümmerter. Das Drohende tritt zurück und wir fangen an, das, was uns bevorsteht, von der besten Seite zu sehen. Der kleine, kahle Raum wird sonderbar warm und gemütlich, und die roten Flammen im Kamin malen lockende Bilder an die "Wand. Vor der beflügelten Phantasie taucht weit hinten die Stadt Amiens auf und das Meer, und es scheint uns undenkbar, daß wir sie nicht erreichen werden. Zu lange haben wir uns schon in diese verfluchten Gräben verkrochen wie die Erdratten, jetzt, wo die russischen Heere zerstreut und zu Boden geworfen sind, wollen wir auch hier einmal zeigen, was in uns steckt. Jetzt wollen wir einmal sehen, ob wir nicht besser aufzuräumen verstehen als die anderen. Jetzt endlich, nach fast vier Jahren, scheint die große Stunde gekommen zu sein.

Der erhitzte Blick nimmt den Erfolg vorweg, er sieht gefangene Heere und Massen von zerschlagenem Material, und daran anschließend das kühne, gefährliche Schweifen im offenen Raum.

In dieser Beleuchtung erhält der Krieg wieder ein anderes Gesicht; so mögen die Herzen von Goldsuchern, die lange durch eisige Wüsten irrten, erzittern, wenn sie das reiche Land zu ihren Füßen sehen. So haben auch wir lange durch die Lücken unserer Sandsäcke und durch schmale Schießscharten mit grimmigem Hunger auf die andere Seite gesehen, auf der sich hinter Drahtfeldern und Erdwällen bis weit in die Ferne eine Landschaft dehnte, die wir nicht betreten durften. Was sich dort für uns, die wir wie in einer großen Festung lebten, hinter feurigen Riegeln verschloß, das bedeutete uns eine Welt, von der wir ausgeschieden waren, und vor deren glühenden Toren wir untätig lagerten.   - Ernst Jünger, Feuer und Blut. Hamburg 1929

 

Abend

 

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