Virus, mutiertes  Nehmen wir an, daß es sich um ein nicht näher bekanntes Virus handelt. In diesem Falle könnte der Gedankengang so aussehen: Der Krebs tritt im Organismus als Chaos auf, der Organismus aber ist der Antipode zum Chaos, ist die Ordnung, das System der Lebensprozesse im lebendigen Körper. Dieser »Faktor des Chaos« also, wie ihn der Krebs, das Krebsvirus darstellt, verwandelt sich unter bestimmten Umstanden, ohne zu existieren aufzuhören, und obgleich es weiter im fraglichen Milieu vegetiert, erkranken die Menschen nicht mehr an Krebs; dennoch hält es sich weiter in ihren Körpern auf. Schließlich verändert es sich derart, daß es ganz neue Fähigkeiten entwickelt, aus einem Faktor des Chaos wird es zum Faktor irgendeiner neuen - postmortalen - Ordnung, das heißt, indem es gewissermaßen eine bestimmte Zeit hindurch diese Art des Chaos, der Verwesung, wie sie der Tod mit sich bringt, bekämpft, bemüht es sich, die Lebensprozesse im bereits endgültig toten Organismus aufrechtzuerhalten. Eine Erscheinung dieser Aktivität ist somit das Verrücken lebloser Körper, die Bewegungen der Leichen, die das Resultat einer ungewöhnlichen Symbiose des Lebendigen, das heißt des mutierten Virus, mit dem Toten, der Leiche, sind. Offensichtlich geht es nicht mehr darum, daß sich der Verstand gegen eine derartige »Erklärung« sträubt; diese ist vielmehr überaus unvollständig, denn dieser »Ordnungsfaktor« bewirkt ja nicht irgendwelche Bewegungen, sondern aufeinander abgestimmte, koordinierte. Was ist das für ein »Virus«, das bewirkt, daß eine Leiche aufsteht, sich Bekleidung verschafft und sich auf eine so raffinierte Weise entfernt, daß niemand sie bemerken kann?  - Stanislaw Lem, Die Untersuchung. Frankfurt am Main 1978 (zuerst 1959)

Virus Mutation


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