ipernkönig  Ich war vom stundenlangen Umherwandern in der Hitze sehr ermüdet und wollte etwas schlafen, so legte ich mich denn am Abhang hin, mit dem Kopf genau auf dem Kamm des Hügels, gegen den Acker hin; mein Beutel, fast ganz voll Schlangen, lag etwas abseits, die Tiere darin mühten sich vergeblich ab, und ich weiß noch, daß ich dachte, wieviel besser ich dran sei als sie; der Gedanke hatte etwas Beruhigendes, und so döste ich allmählich ein.

Da lag ich also am Abhang, mit dem Kopf halb auf dem Acker, ich weiß nicht wie lange, in tiefem Schlaf. Schließlich war mir, als höre ich im Schlaf ein Geräusch, wie von etwas, das sich bewegt, aber nur ganz leise und von fern; dann setzte das Geräusch aus, und dann drang es erneut an mein Ohr, und dann war mir, als höre ich ein Knistern, das wieder aussetzte, oder vielleicht schlief ich nur tiefer ein; jedenfalls lag ich eine Zeitlang da, ohne etwas zu hören. Auf einmal war ich hellwach, und da lag ich also oben auf dem Hügel, mit der Backe auf dem Boden gegen das Stoppelfeld hin, und im Ohr ein Geräusch wie von etwas, das durch die Stoppeln auf mich zukam; ich hörte mir das einen Augenblick lang an, und dann durchfuhr mich ein Schreck; das Geräusch gefiel mir nämlich gar nicht, es tönte so eigentümlich; ich drehte mich deshalb um, so daß ich auf dem Bauch lag und gegen den Acker blickte.

Hilf der Himmel, da war doch eine gewaltige Schlange oder vielmehr eine Viper, sie war nämlich goldgelb, und sie kam auf mich zu, den Kopf etwa einen halben Meter über dem Boden, und unter ihrem unheimlichen Leib knisterten die dürren Stoppeln. Sie mochte etwa fünf Meter entfernt gewesen sein, als ich sie zuerst gewahrte, und hielt gerade auf mich zu, mein Junge, als wollte sie mich verschlingen. Starr vor Schreck lag ich da, während die Viper immer näher rückte, und dann war sie fast bei mir, worauf sie sich etwas zurückkrümmte, und dann — was glaubst du? — bäumte sie sich empor, und hoch über meinem Gesicht sah ich sie züngeln, als wollte sie zustoßen. Wie mir damals zumute war, Junge, das kann ich dir gar nicht sagen; aber ich war bestraft genug für alle Sünden, die ich je begangen, und da waren wir beide also, ich schaute zu der Viper empor, und die Viper schaute auf mich herab und ließ die Zunge spielen.

Nur der Güte Gottes verdanke ich meine Rettung: ein lauter Knall, von einem Schuß — ein Jäger hatte in der Nähe auf einen Zug Vögel geschossen. Die Viper senkte den Kopf und verzog sich über den Hügelkamm, den Abhang hinunter. Ganz nahe kam sie an mir vorbei, und einen Augenblick schien sie zu zögern, als ob sie mich doch noch angreifen wolle, dann glitt sie den Hang hinunter. Ich habe oft gedacht, sie sei böse gewesen auf mich und habe sich heimlich an mich herangemacht, um mir heimzuzahlen, was ich ihrem Volk angetan. - George Borrow, Lavengro der Zigeuner-Gentleman (Zürich 1987, zuerst 1851)

Viper Macht
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