Vervielfältigung  Sie forderte ihn auf, den Kasten zu öffnen. Rottenkopf öffnete den Kasten und prallte zurück. Der Kasten enthielt zahlreiche Schminksachen, falsche Bärte, plastische falsche Nasen, formbares kneteähnliches Material in den Mund zu schieben um die Gestalt der Wangen zu verändern, Perücken, Toupets, Augenbrauen, Brillengestelle und anderes Werkzeug für Verwandlungskünstler.

Verwandle dich in einen alten Mann, der etwa so aussieht, forderte das Mädchen seinen Geliebten auf und hielt ihm eine Seite aus einer illustrierten Zeitung unter die Nase. Rottenkopf nahm am Frisiertisch Platz und tat, wie ihm geheißen worden war. Sie half ihm und bald sah Rottenkopf einen alten Mann vor sich, der dem Vorbild in der Illustrierten sehr ähnlich sah. Ohne sich auch nur mit einem Tuch zu bedecken, legte das Mädchen sich nieder und öffnete seine Knie. Rottenkopf legte sich zu ihr und erschrak. Im Spiegel, der die ganze Wand gegenüber dem Bett einnahm, lag seine Geliebte mit einem anderen Mann im Bett. Du darfst nun wieder zu mir kommen, wann du willst, sagte das Mädchen seinem Geliebten, als sie hinterher nebeneinander lagen und ich will mich nicht vor dir verstecken. Du sollst nur stets einen anderen Mann aus dir machen, ehe du zu mir kommst. Je ähnlicher du aber dem Mann siehst, den ich gerade begehre, desto mehr will ich dich lieben. Ich werde illustrierte Zeitungen aufgeschlagen herumliegen lassen und du sollst herausfinden, welchen der Männer die auf einer der aufgeschlagenen Seiten abgebildet sind, ich am meisten begehre. Nein, ich bin deiner nicht überdrüssig aber ich will, daß du so vielfältig bist, wie alle Männer in einem sind. Gib dir Mühe.   - (baer)

Vervielfältigung (2)  Durch Meditation kann der Mensch in sich ein Mechanismus, eine Maschine sein. Er kann sich auch zur Pflanze machen. Wenig genug ist bisher die Pflanze im Menschen gedacht. Der Mensch kann auch ein anderer Mensch in sich sein. Großen Vorteil hat es für ihn, vielerlei Mensch zu sein, denn nicht anders kann er ein Vielfacher werden. Man muß aber auch schon dieser Meditation des andren Menschen in sich die ganze Zeit des Wachsens gewähren, denn auch in uns wird der andre, auch wenn in uns alles unvergleichlich viel schneller wächst als außen, seine Zeit zum Werden brauchen. Es ist bekannt genug, daß der Mensch, der einen andren denkt, diesen durchaus nicht als Menschen rundum und ganz anders seiend denken will, sondern er denkt ihn als einen Hund, gehorchend, kurz bevor er ihm einen Befehl gibt, er denkt ihn sklavisch und nur als eine Hand mehr von sich: losgelöst, fortgehend, tuend, wieder zur Ruhe kommend, aufgelöst, nicht mehr da. Dies alles ist nicht das Denken eines andren, wenn es auch die Unvollkommenheiten und die Anfänge der Meditation bedeutet. Wichtiger ist für die Meditation über jenen, der er selbst werden soll und noch nicht ist. Oft denken sich die Menschen reich geworden, in irgendwelchen Besitzkomplexen, genießend. Aber was tun sie in diesem Sehen? Sie wissen selbst, daß ihr Aufenthalt in einer solchen Schau untätig ist und kein Geschehen möglich macht. Des Menschen Zukunft kann nur in einem fortgesetzt andren Geschehen wesentlich sein. Die Meditation des Werdens ist deshalb auch das ganze Leben hindurch eine einzige. Sie kann vielleicht kaum begonnen sein, aber auch niemals beendet werden. Denn die Zukunft ist das einzig Gewisse, wie gewiß auch Menschen ihre kleine Gegenwart zu halten scheinen, obwohl das Leben sie täglich gut in deren Vergänglichkeit unterrichtet.   - Ernst Fuhrmann, Was die Erde will. Eine Biosophie. München 1986 (zuerst 1930)
 
 

Vermehrung

 

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