erstehensversuch
Es war ein Loch im Zaun,
ein großes, unregelmäßiges Loch, verursacht durch zahllose Windstöße, durch
zahllose Regengüsse oder durch einen Eber oder durch
einen Bullen auf der Flucht, bei der Verfolgung,
durch einen wilden Eber, durch einen wilden Bullen, in blinder Angst, in blinder
Wut, oder, wer weiß, vielleicht in blinder Läufigkeit, der an dieser Stelle
durch den Zaun brach, welcher durch zahllose Windstöße, durch zahllose Regengüsse
erschlafft war. Durch dieses Loch drang ich ohne Anstoß oder Schaden an meiner
hübschen Uniform, und ich stand, mich umschauend, da ich noch nicht wieder im
Lot war, im Gang. Da meine Sinne nun auf das Zehn- oder Fünfzehnfache ihrer
normalen Schärfe verfeinert waren, dauerte es nicht lange, bis ich im anderen
Zaun ein anderes Loch erblickte, das, was seinen Ort und seine Form betraf,
sich jenem gegenüber befand beziehungsweise jenem ähnlich war, durch das ich
mir etwa zehn oder fünfzehn Minuten früher einen Weg gebahnt hatte. So daß ich
sagte, daß weder ein Eber diese Löcher gemacht hatte noch irgendein Bulle, sondern
die Wirkung des Wetters, die hier besonders heftig war. Denn wo war der Eber,
wo der Bulle, imstande, nach dem Aufreißen eines Loches im ersten Zaun ein zweites,
absolut gleiches im zweiten aufzureißen? Denn würde nicht das Aufreißen des
ersten Loches die in Wut geratene Masse so bremsen, daß das Aufreißen des zweiten
im Laufe desselben Angriffs unmöglich wäre? Hinzu kommt, daß kaum ein Meter
die beiden Zäune voneinander trennte, an dieser Stelle, so daß die Schnauze,
oder das Maul, zwangsläufig mit dem zweiten Zaun in Berührung wäre, ehe das
Hinterteil den ersten hinter sich gebracht hätte, und folglich der Platz fehlen
würde, auf dem, nach dem Aufreißen des ersten Loches, der zum Aufreißen des
zweiten nötige neue Anlauf genommen werden könnte. Es war auch unwahrscheinlich,
daß der Bulle oder Eber sich nach dem Aufreißen des ersten Loches bis dahin
zurückgezogen hatte, von wo aus er, auf die gleiche Weise wie vorher, den erforderlichen
Schwung gewonnen hätte, um das zweite Loch aufzureißen, durchs erste Loch
hindurch. Denn entweder war das Tier nach dem Aufreißen des ersten Loches immer
noch in blinder Leidenschaft, oder nicht mehr. Wenn es immer noch in diesem Zustand
war, so hatte es tatsächlich nur geringe Aussichten, das erste Loch deutlich
genug zu sehen, um es mit der für das Aufreißen des zweiten Loches erforderlichen
Geschwindigkeit zu durchdringen. Und wenn es nicht mehr darin war, sondern durch
das Aufreißen des ersten Loches beruhigt
worden war, und seine Augen öffnete, dann wäre es wirklich erstaunlich gewesen,
wenn es ein anderes hätte aufreißen wollen. Es war auch unwahrscheinlich, daß
das zweite Loch, oder noch besser Watts Loch (da nichts andeutete, daß das sogenannte
zweite Loch nicht früher entstanden war als das sogenannte erste Loch, und das
sogenannte erste Loch nicht später entstanden war als
das sogenannte zweite Loch), unabhängig
zu irgendeiner ganz anderen Zeit aufgerissen worden
war, von Watts Zaunseite aus. Denn wenn die beiden Löcher unabhängig voneinander
aufgerissen worden waren, das von Watts Seite von Watts
Zaun und das andere von meiner von meinem, durch zwei ganz verschiedene in Wut
geratene Eber oder Bullen (denn, daß das eine von einem in
Wut geratenen Eber aufgerissen worden wäre, und das andere von einem m Wut geratenen
Bullen, war unwahrscheinlich), und zu zwei ganz
verschiedenen Zeiten, das eine von Watts Seite von Watts
Zaun, und das andere von meiner von meinem, so war Ihre Konjunktion an dieser
Stelle unbegreiflich, gelinde gesagt. Es war auch unwahrscheinlich,
daß die beiden Löcher, das Loch in Watts Zaun und das Loch in meinem, bei derselben
Gelegenheit aufgerissen worden waren, durch zwei in Wut geratene Bullen, oder
durch zwei in Wut geratene Eber, oder durch einen in Wut geratenen Bullen und
eine in Wut geratene Kuh, oder durch einen in Wut geratenen Eber und eine in
Wut geratene Sau (denn daß sie gleichzeitig aufgerissen worden waren, das eine
durch einen in Wut geratenen Bullen und das andere durch eine in Wut geratene
Sau, oder das eine durch einen in Wut geratenen Eber und das andere durch eine
in Wut geratene Kuh, war kaum zu glauben), die mit feindseliger oder wollüstiger
Absicht anstürmten, der eine von Watts Seite von Watts Zaun her, die andere
von meiner von meinem her, und nachdem die Löcher einmal aufgerissen waren,
an der Stelle zusammenprallten, wo ich nun stand und zu verstehen
versuchte. - (wat)
Verstehensversuch
(2)
Daß diese Rede keinen Sinn hat, ist vielleicht ein Zeichen dafür, daß
sie etwas anderes ist als eine Rede - oder ist gerade ihre Sinnlosigkeit das
wahre Kennzeichen der Rede? Du hörst jetzt ein überstürztes Reden,
so als stießen die Vokale und Konsonanten, zu exakten Silben gepackt, an unzählige
Hindernisse, und obwohl man keinerlei Sinn aus diesem Reden ableiten kann, geschieht
es, daß dieses Heranstürmen und Aneinanderprallen und Sichverfolgen der Silben
auf das Projekt einer Rede anspielt, die letztlich einen Sinn haben oder wenigstens
imstande sein wird, ihren Sinn auf so rücksichtslose Weise vorzutäuschen, daß
jeder sagen muß, es kann gar nicht sein, daß sie keinen Sinn hat, auch wenn
zugleich völlig klar ist, daß niemand auf irgendeine Weise sagen könnte, um
was für einen Sinn es sich handelt. Das delirierende Fließen der Stimme ist
kein Plapperreim und kein Gemurmel, sondern ein ununterbrochener Klangfluß,
aus dem man nur schwer einzelne Vokale oder Konsonanten heraushören kann; das
Ganze liegt vielmehr irgendwo zwischen Gestöhn und Sermon, Grabrede und Festansprache;
und nun höre: wie es sich aufbäumt, wie es transzendiert und fleht - dünkt dir
da nicht, daß eine schicksalhafte Beziehung zwischen deiner Auskultation und
diesem Leiden besteht, das bereits versucht, die Gesetze einer Grammatik zu
formulieren, obwohl es noch in die Öde der Nacht, des Dorfs und deines Hörens
verstrickt ist? In Wirklichkeit kannst du dieser ungenauen Klage nicht entfliehen,
aber du kannst auch nicht bewirken, daß sie keine Klage sei, noch kann die Klage
bewirken, daß du nicht zuhörst, und deshalb kann auch die Krankheit, wenn es
sie gibt - und es könnte ja gerade sie sein, die da spricht - nicht existieren,
außer weil du sie hörend als Krankheit akzeptierst, indem du sie als das erkennst,
was in dir Krankheit ist; und wäre es da nicht vernünftig zuzugeben, daß das,
was du hörst, deine eigene Krankheit ist und diese Krankheit das, was du der
Rede weihst, und daß es diese Rede gar nicht gäbe, wenn es deine Krankheit nicht
gäbe, oder besser, wenn deine Art des Seins nicht darin bestünde, eine Krankheit
zu sein? - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
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