ersacken
Das Abwasser gab nicht zum ersten Mal den Anstoß. Oft kommt von dort das
scharfe Licht der Dringlichkeit und stört den eingefahrenen Usus. In
diesem Fall war es der Große Bruch, jener Kanalbruch, den inzwischen
selbst die Fachautoren gleich Fernsehen und Boulevard-Presse als den
Jahrhundertbruch bezeichnen.
Unter dem Volkspark barst ein Haüptabfluß
der Gruppe A. Ursache war ein simpler Wurzeleinwuchs: Eine monumentale
Esche, im Gründungsjahr unserer Republik als Schößling in den
abgeholzten Park gepflanzt, sprengte im ersten Wachs-tumsschub die
Seitenwand des hundert Jahre alten Abwasserkanals. Gerade hatten die
starken Regenfälle des Frühjahrs ihren Höhepunkt erreicht. In wenigen
Stunden wurde aus dem banalen Wurzeleinbruch eine gewaltige
Unterspülung. Sechshundertdreißig Fahrbahnmeter der Kennedyallee, das
ganze Stück, mit dem die vierspurige Straße den Volkspark teilt,
versackten im schaumgekrönten Brei aus Abwasser und Erde. Das
Rosengärtlein, Symbol der deutsch-französischen Verständigung, die
Doppel-Bronzestatue De Gaulles und Adenauers rutschten, grundlos
geworden, in den sich strudelig nach oben fressenden Kanal. Im späteren
Verlauf der Katastrophennacht stürzten, fast einen Kilometer weiter
östlich, noch mehr als die Hälfte der hundert Backsteinsäulen des
Ehrenmals der Sowjettruppen von ihren unterspülten Fundamenten. - Georg Klein, Anrufung des blinden Fisches. Berlin 2000
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