erleumder Die Verleumdung stellt einen Trieb zu übler Nachrede dar.
Ein Verleumder antwortet auf die Frage: »Wer ist der und der?« mit einem Aufwand wie die Verfasser von Stammbäumen: »Fürs erste will ich von seiner Herkunft ausgehen. Sein Vater hieß eigentlich Sosias, bei den Soldaten wandelte sich sein Name zu Sosistratos, und nachdem er in die Bürgerverzeichnisse eingetragen worden war, zu Sositheos. Seine Mutter freilich ist eine Thrakerin von edler Abkunft, wenigstens heißt die gute Frau Krinokoraka. Frauen mit derlei Namen heißen in ihrer Heimat ›Adlige‹. Der Mann ist also, als Sproß einer solchen Mutter, ein Bösewicht, ein Tunichtgut.«
In seinen üblen Absichten sagt er zu jemandem: »Bekanntlich weiß ich über derartige Dinge Bescheid — worüber du mir soeben fälschlich berichtet hast.« Und obendrein verliert er sich in Wendungen wie: »Diese Frauen schleppen den Vorübergehenden von der Straße weg« und »Dieses Haus hat schon die Schenkel hochgehoben; das ist kein leeres Geschwätz, wie es im Volksmunde heißt, nein, sie sind eifrig beim Wirken, wie die Hündinnen auf der Straße!« und »Mit einem Wort: Männertoll!« und »In eigener Person machen sie die Haustür auf.«
In die Verleumdungen, die sich gegen andere richten, stimmt er natürlich ein und sagt: »Auf diesen Kerl habe ich einen stärkeren Haß geworfen als alle anderen. Schon sein Aussehen erregt Abscheu. Seine Bosheit ist einmalig. Ich führe nur einen Beweis an: Seiner Frau, die ihm eine Mitgift von etlichen Talenten brachte, gibt er, seit sie ihm ein Kind geboren hat, einen ganzen Dreier für die Verpflegung und nötigt sie außerdem zu einem kalten Bad am Poseidonstag !«
Sitzt er mit anderen zusammen, zieht er freiweg über einen her, der
soeben hinausgegangen ist, und ist er erst einmal richtig in Fahrt gekommen,
läßt er nicht mehr ab und zieht auch die Angehörigen des Betreffenden durch
den Schmutz. Und meistens ist er auch auf die eigenen Freunde und Hausgenossen
schlecht zu sprechen, sogar auf die verstorbenen; denn böse Nachrede nennt
er Offenheit, Demokratie und Freiheit und zählt
sie zu dem Angenehmsten, was das Leben bietet. - (
theo
)
Verleumder (2) Ich gestehe mit der äußersten Offenheit, ich habe die Verleumdung nie für etwas Böses gehalten, vor allem in einer Regierungsform wie der unsrigen nicht, in der alle Menschen enger aneinander gebunden und einander viel näher sind, also offensichtlich ein größeres Interesse haben, sich gut zu kennen. Entweder — oder: entweder die Verleumdung trifft einen wirklich verdorbenen Menschen, oder sie fällt über ein tugendhaftes Wesen her. Man wird zugeben, im ersten Fall wird es fast gleichgültig, daß man ein bißchen mehr Schlechtes von einem Menschen erzählt, der bekannt dafür ist, viel Schlechtes zu tun; vielleicht gibt dann sogar das Böse, das nicht existiert, Aufklärung über das, was ist, und dann ist der Übeltäter besser bekannt.
Angenommen, in Hannover wäre das Wetter ungesund, und ich liefe, wenn ich mich der Unfreundlichkeit dieses Klimas aussetzte, keine andere Gefahr als die, mir einen Fieberanfall zu holen, könnte ich dann dem Menschen böse sein, der, um mich daran zu hindern dahinzufahren, mir sagte, man stürbe dort, sobald man ankäme? Nein, zweifellos nicht; denn, indem er mich durch ein großes Übel abgeschreckt hat, hat er mich davor bewahrt, ein kleines zu erleiden.
Trifft die Verleumdung hingegen einen tugendhaften Menschen, so braucht
er sich deswegen nicht zu beunruhigen; Er lasse sich sehen, und die ganze
Bosheit des Verleumders fällt bald auf diesen selbst zurück. Die Verleumdung
ist für solche Leute nur eine Art reinigender Abstimmung, aus der ihre
Tugend um so leuchtender hervorgeht. Es ergibt sich hier sogar ein Gewinn;
für die Gesamtheit der Tugenden der Republik; denn dieser tugendhafte und
empfindsame Mensch wird sich, durch die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit
gereizt, bemühen, es nun noch besser zu machen; er wird diese Verleumdung,
vor der er sich sicher glaubte, wettmachen wollen, und seine edlen Taten
werden sich um noch einen Grad moralisch vervollkommnen. So wird der
Verleumder im ersten Falle recht gute Wirkungen erzielt haben, indem er
die Laster eines gefährlichen Menschen größer erscheinen ließ; im zweiten
Falle hat er ausgezeichnete erzielt, weil er die Tugend genötigt hat, sich
uns ganz vollkommen darzubieten. Also, frage ich jetzt, in welcher Hinsicht
sollte ein Verleumder zu fürchten sein, vor allem in einem Staat, in dem
es so wesentlich ist, die Bösen zu kennen und die Kraft der Guten zu vergrößern.
Man hüte sich also davor, irgendeine Strafe gegen Verleumdung auszusprechen;
betrachten wir sie unter dem doppelten Aspekt eines Fanals und eines Ansporns,
auf jeden Fall als etwas sehr Nützliches. Der Gesetzgeber, dessen Gedanken
alle so groß sein müssen, wie das Werk, an dem er arbeitet, sollte nie
die Auswirkungen eines Vergehens prüfen, das nur ein Individuum trifft;
er sollte vielmehr seine Auswirkung auf die Masse untersuchen/und wenn
er auf diese Weise die Wirkungen der Verleumdung beobachtet, wird er, wette
ich, darin nichts Strafbares entdecken; ich wette, daß er dem Gesetz, das
Verleumdung unter Strafe stellte, nicht den kleinsten Anschein von Gerechtigkeit
geben könnte; er wird hingegen der gerechteste und redlichste Mensch, wenn
er sie begünstigt oder sie belohnt. - Marquis de Sade,
Die Philosophie im Boudoir. Gifkendorf 1989 (zuerst ca. 1790)
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