Verhältnis, hinreißendes  »Sie mögen natürlich die Juden nicht... Ich bestreite es nicht, daß sie, wie jede Nation, viele Fehler haben. Doch sind die Juden etwa daran schuld? Nein, nicht die Juden tragen die Schuld, sondern die jüdischen Frauen! Sie sind dumm, gierig, poesielos und langweilig ... Sie haben sicherlich noch nie mit einer Jüdin ein Verhältnis gehabt und wissen daher nicht, wie hinreißend das ist!«

Diese letzten Worte sprach Susanna Moissejewna gedehnt und gar nicht mehr lustig und inspiriert. Und nun verstummte sie gänzlich, als wäre sie über ihre eigene Offenheit erschrocken, und plötzlich verzerrte sich ihr Antlitz sonderbar und unverständlich. Ihre Augen hefteten sich, ohne zu zwinkern, auf den Leutnant, ihre Lippen öffneten sich und zeigten die zusammengebissenen Zähne. Über ihr ganzes Gesicht, ihren Hals und sogar über die Brust zitterte etwas Böses, Katzenhaftes. Ohne die Augen von ihrem Besuch zu wenden, bog sie schnell den Körper zur Seite und ergriff mit hastigem Katzengriff etwas auf dem Tisch Liegendes. Das Ganze war das Werk weniger Sekunden. Der Leutnant folgte ihrer Bewegung und sah, wie ihre fünf Finger seine Wechsel zusammenknüllten; das weiße, knisternde Papier verschwand in ihrer geballten Faust. Dieser jähe, ungewöhnliche Übergang von gutmütigem Lachen zum Verbrechen überraschte ihn so sehr, daß er ganz blaß wurde und einen Schritt zurücktrat...

Sie aber ließ die erschreckten forschenden Augen immer noch nicht von ihm und fuhr mit der geballten Faust an ihrer Hüfte entlang, ihre Tasche suchend. Krampfhaft wie ein gefangener Fisch glitt die Faust rings um die Tasche und versuchte vergeblich, in die Spalte zu schlüpfen. Ein Augenblick noch, und die Wechsel wären in dem Schlupfwinkel der Frauenkleidung unwiederbringlich verschwunden, doch da schrie der Leutnant leicht auf und packte, mehr vom Instinkt als von der Vernunft geleitet, die Hand der Jüdin oberhalb der geballten Fast. Sie fletschte nur noch mehr die Zähne, zog aus aller Kraft und riß ihre Hand heraus. Da umschlang Sokolskij mit dem einen Arm fest ihre Taille, mit dem anderen ihre Brust, und der Kampf begann. Aus Furcht, ihr weibliches Empfinden zu verletzen und ihr vielleicht weh zu tun, war er nur bemüht, sie daran zu hindern, sich zu bewegen, denn er wollte nichts als ihre Faust mit den Wechseln packen; sie aber wand sich mit ihrem biegsamen elastischen Körper wie ein Aal in seinen Armen, riß sich hin und her, stieß ihn mit den Ellbogen vor die Brust und kratzte ihn, so daß seine Hände unwillkürlich über ihren ganzen Körper glitten und er ihr nicht nur weh tun, sondern auch ihr Schamgefühl verletzen mußte.

Wie sonderbar! Wie ungewöhnlich! dachte er, außer sich vor Erstaunen, und wollte seinen Sinnen nicht glauben und fühlte doch mit seinem ganzen Wesen, welche Übelkeit ihm der Jasminduft verursachte.

Stumm, schwer atmend, gegen die Möbel stoßend, stolperten sie durchs Zimmer. Susanna war ganz hingerissen von dem Kampf. Ihr Gesicht rötete sich, sie hielt die Augen geschlossen und preßte sogar einmal wie unbewußt ihr Gesicht kräftig an das Gesicht des Leutnants, so daß auf dessen Lippen ein süßlicher Geschmack zurückblieb. Endlich erwischte er die Faust... Er brach sie auf, fand jedoch die Wechsel nicht mehr darin und ließ die Jüdin stehen. Rot, mit zerrauftem Haar, nach Luft ringend, blickten sie einander an. Der grausame, katzenhafte Ausdruck auf dem Gesicht der Jüdin wich langsam einem gutmütigen Lächeln. Dann lachte sie laut auf, machte auf dem einen Fuß kehrt und begab sich ins Zimmer, darin der Frühstückstisch stand. Der Leutnant ging ihr langsam nach. Immer noch rot und mühsam nach Atem ringend, nahm sie am Tisch Platz und leerte ein halbes Glas Portwein.

»Hören Sie«, unterbrach der Leutnant das Schweigen, »ich hoffe, das war nur ein Scherz?«  »Nicht im mindesten«, entgegnete sie und schob ein Stück Brot in den Mund.   - Anton Tschechow, Morast. Nach (tsch)

 

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