Vergraulen  Jacqueline sitzt an meiner Seite und ich drücke mit Daumen und Zeigefinger sanft ihre Ohrläppchen. Ich könnte sie auf andere Weise streicheln, aber ich traue mich nicht. Unsere Blicke sind auf die Wand gerichtet, aber im nächsten Augenblick, von der Kraft unserer Sehnsucht bewegt, hebt sie sich wie ein Vorhang, und wir schauen aufs Meer. Der Mond spiegelt sich im Wasser und in der Ferne blinken die Lichter der Fischerboote. Eine Weile verharren wir reglos und lauschen den Gesängen der Tintenfische, die in den Vollmondnächten auf die Felsen klettern. »An was denkst du?«, fragt sie mich.

»An Fische auf dem Trockenen, die sterben müssen«, antworte ich.

Jacqueline vermutet eine Tragödie hinter meinen Worten und ist bestürzt. Sie versucht mich zu trösten und sagt, ich solle mir keine Sorgen machen, denn ich sei kein Fisch. »Und was bin ich dann?«, frage ich sie, ohne von ihrem Ohrläppchen abzulassen.

 »Ein Mensch«, sagt sie zu mir.

»Ein Mensch mit Kiemen?«

 »Ein Mensch wie jeder andere«, flüstert sie mir ins Ohr, und auf diese tröstenden Worte hin lasse ich ihr Ohrläppchen los, taste nach ihrer Hand und drücke sie vorsichtig. »Und wenn nicht?«, frage ich nach einer Weile, »wie, wenn ich doch kein Mensch wäre?«

Sie sagt, wenn ich kein Mensch wäre, dann würde sie nicht hier neben mir sitzen.

»Und wenn ich nun der Sohn des Teufels wäre, gezeugt auf irgendeiner mittelmäßigen Walpurgisnacht oder in einem gottverlassenen Provinzhotel?«

Jacqueline lächelt nachsichtig. Sie sagt, die Söhne, die der Teufel zeugt, würden von mehreren Ammen gesäugt, ohne daß es ihnen das Geringste nütze, und gewöhnlich das Zeitliche segnen, bevor sie das neunte Lebensjahr erreicht hätten. Ich hingegen sei schon über fünfunddreißig. Dann sagt sie, meinen Vater treffe keine Schuld an meinen Sorgen und es sei nicht schön von mir, ihn mit dem Teufel zu verwechseln. »Dann«, sage ich, »könnte es doch sein, daß ich eine Amphibie bin, zum Beispiel ein Frosch.«

»Wenn du ein Frosch wärst«, sagt sie, »dann wäre ich eine kleine Fröschin. Du und ich, wir wären zwei kleine Frösche, verloren in den Weiten des Tümpels.«

»Dann sind -wir also zwei Frösche, die auf einer Seerose hocken«, murmele ich, »es stört dich weder, daß ich schiele, noch, daß ich aus dem Mund rieche, denn weder unsere Augen noch unser Geruchssinn haben etwas mit unserer sexuellen Beziehung zu tun - möchtest du, daß ich auf deine Schultern springe und dich mit meinen Vorderfüßchen umarme?«

Wieder lächelt Jacqueline, aber das Lächeln erlischt allmählich. Es scheint, als komme ihr irgend ein Verdacht. Schweigend betrachtet sie mich und bittet mich dann mit kaum hörbarer Stimme, sie nach Hause zu bringen.  - Javier Tomeo, Zoopathologie. Berlin 1994 (zuerst 1992)

 

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