Verformung   Einmal durchkämmte eine Riege von Polizisten mit Spürhunden den hiesigen Wald, denn sie waren auf der Suche nach einem vergrabenen Bankräuberschatz. Jenseits der langen, vorrückenden Mannschaft, drüben im Birkenhain, wohin der Jäger zum Aufbruch bereit war, versammelte sich wie zu jeder Dämmerung das reichliche Niederwild. Den Jäger, durch die langsame Such-Riege abgeschnitten von seinem Revier, beschlich eine leise Verstimmung.

Diese verstärkte sich noch, je länger er warten mußte, und bald schon war es keine Verstimmung mehr, sondern eine Woge des Jähzorns erhob sich in ihm und trug den ganzen Mann bis an den Rand des Blutrauschs fort. Gewaltsam daran gehindert, sein Haus zu verlassen, seine Beute zu machen, verwandelte sich ihm zuerst das Hobby, der Ausgleichssport, der Wille zur Freizeit in eine angestaute Leidenschaft. Sodann wandelte sich der Leidenschaftsstau in ein innerliches, aber doch schon schweres Verbrechertum, und dieses schließlich, ebenfalls unterdrückt, wandelte sich in eine nur kurz vorm Ausbruch zurückgehaltene Bestialität. Über diese Stufen der Gierverwandlung war der Jäger von einer leisen Verstimmung bis bald an die Grenze seiner Entartung vorangeschritten. Übermäßige Pressung und Drosselung eines harmlosen Jagdeifers hatten dazu geführt, daß eine gefährliche Willenskernverschmelzung in ihm stattfand, eine gewaltige Energieverdichtung, die ein Mensch kaum mehr als er selber zu überleben vermag. In Wahrheit gab es nun für ihn kein Halten mehr, er hatte ja längst den Gipfel seiner Verformung überschritten, er war bereits der nur noch spärlich verkleidete Wolfsmensch oder Blutsauger, der nun freilich nicht mehr auf Jagd nach Niederwild auszog.   - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984

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