Verdummung  Wenn man nicht wieder auf die alten Maximen zurückgreift, wenn die Erziehung nicht den Priestern anvertraut und die Wissenschaft auf den zweiten Platz verwiesen wird, werden die Übel, die uns erwarten, unberechenbar, wir werden durch die Wissenschaft verdummt werden, und das ist der letzte Grad von Verdummung.  - De Maistre, Versuch über das Gestaltungsprinzip der politischen Verfassungen... [1814],  nach (sot)

Verdummung (2)  In vielen Ländern, auch im südlichen Deutschland, herrscht die schlimme Sitte, daß Weiber Lasten, und oft sehr beträchtliche, auf dem Kopfe tragen. Dies muß nachtheilig auf das Gehirn wirken; wodurch dasselbe, beim weiblichen Geschlechte im Volke, sich allmälig deteriorirt, und da von ihm das männliche das seinige empfängt, das ganze Volk immer dümmer wird; welches bei vielen gar nicht nöthig ist.  - (wv)

Verdummung (3)  Viele Denker, Philosophen wie Naturforscher, haben erkannt, daß der Fortschritt im organischen Werden fast immer dadurch erzielt wird, daß eine Anzahl von einander verschiedener und bis dahin unabhängig von einander funktionierender Systeme zu einer Einheit höherer Ordnung integriert wird und daß, im Verlaufe dieser Integration, Veränderungen an ihnen auftreten, die sie zur Mitarbeit in dem neu entstehenden übergeordneten System-Ganzen geeigneter machen. Goethe definierte bekanntlich Entwicklung als Differenzierung und Subordination der Teile. Ludwig von Bertalanffy hat in seiner theoretischen Biologie diesen Vorgang mit großer Exaktheit dargestellt und viele Beispiele gebracht. W. H. Thorpe hat in seinem Buch >Science, Man and Morals< sehr überzeugend dargetan, daß die Entstehung einer Ganzheit aus einer Vielheit von verschiedenen Teilen, die dabei einander noch unähnlicher werden, das wichtigste schöpferische Prinzip in der Evolution ist: »Unity out of diversity«. Teilhard de Chardin schließlich hat dasselbe in die kürzeste und poetisch schönste Form gebracht: »Créer, c'est unir.« Schon bei der ersten Entstehung von Leben muß dieses Prinzip am Werke gewesen sein.

Die schöpferische Vereinigung von Verschiedenem zur funktionellen Ganzheit bedeutet an und für sich eine Komplikation des lebenden Systems. Im Laufe der weiteren Evolution vereinfacht sich aber oft das neue System dadurch, daß jedes der in ihm vereinigten Untersysteme sich »spezialisiert«, d.h. sich auf die eine Leistung beschränkt, die ihm im Namen der neuen Arbeitsteilung zugewiesen ist, während es andere Funktionen, die es zur Zeit seiner Selbständigkeit ebenfalls erfüllen mußte, anderen Gliedern der Ganzheit überläßt. Selbst die Ganglienzellen unseres Gehirns, die im Vereine die höchsten geistigen Leistungen vollbringen, sind, jede für sich genommen, einer Amöbe oder einem Pantoffeltierchen weit unterlegen, und zwar ebensosehr, was die Einzelleistung der Zelle anbelangt, als auch, was die relevante Information betrifft, die dieser Leistung zugrunde liegt. Eine Amöbe oder ein Paramaecium verfügt über eine ganze Reihe von sinnvollen Antworten auf Außenreize und »weiß« eine ganze Anzahl wichtiger Dinge über die Umwelt. Die Gan-glienzelle aber »weiß« nur, wann sie feuern soll, und selbst dies kann sie nicht stärker oder schwächer tun, sondern nur entweder ganz oder gar nicht, dem »Alles-oder-nichts-Gesetz« gehorchend. Diese »Verdummung« des in eine höhere Ganzheit eingebauten Gliedes hat natürlich ihren guten Sinn: Sie ist unerläßlich für die Funktion der Ganzheit.   - Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens. München 1997

 

Dummheit Machtmittel

 

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