Väterchen  Bei festlichen Gelegenheiten führten meine Eltern den Gästen ein sehr seltenes Schaustück vor, das Vater einmal aus Paris mitgebracht hatte. Es war ein, mich deucht, nahezu lebensgroßer Pfau aus Metall, aber mit richtigem Pfauengefieder. Der wurde auf den Tisch gestellt und begann dann, wenn sein Uhrwerk aufgezogen war, sich anmutig zu bewegen. Nicht etwa gleichmäßig. O nein! Er trippelte ein paar Schritte vorwärts, blieb stehen, wendete sich plötzlich oder trat zurück, und auf einmal schlug er ein Rad. Über dieses kostbare Kunstwerk waren die Motten gekommen und hatten die Federn zerstört. Da eine Reparaturwerkstätte dafür in Leipzig nicht zu finden war, wurde der metallene Balg irgendwo verwahrt, wo ich ihn aufstöberte und entführte. Stundenlang lag ich in den nächsten Tagen unter meinem Bett und ging dort in der Verborgenheit mit einem Stemmeisen dem Vogel zu Leibe. Bis ich die zauberhafte Mechanik seines Inneren in Zahnräder, Rädchen, Spiralen, Achsen und Splitter zertrennt hatte. Mir ist, als wären Wolfgang und Ottilie dabei beteiligt gewesen, aber jedenfalls wurde ich von Mutter mit Recht als Hauptschuldiger dem Vater zugeführt. Es war das einzige Mal, daß mich mein Vater schlug. Sonst — zum Beispiel, als er dahinterkam, daß ich teure Lexika meines Bruders heimlich beim Antiquar verkauft und das Geld verjubelt hatte - war sein Verhalten ein anderes, obwohl von mir weit mehr gefürchtet. Ich wurde dann in sein Zimmer gerufen, wo er am Schreibtisch saß. Er begann mit strengen, sachlichen Worten, die, je zerknirschter sie mich machten, immer weicher wurden. Bis ich in Tränen ausbrach, worauf mein Vater seinen Klemmer verlor, meinen Kopf an seine staehlige Backe zog und sich selber Tränen aus den Augen wischte. Mit irgendeiner versöhnlichen und gütigen Betrachtung oder Ermahnung entließ er mich dann. - Wir Kinder liebten «Väterchen» über die Maßen.  - Joachim Ringelnatz, Mein Leben bis zum Kriege. Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst 1931)

Väterchen (2)  Aus der Nase eines alten Väterchens sprang eine kleine Kugel und fiel zu Boden. Das alte Väterchen bückte sich, um die Kugel aufzuheben, da sprang ein kleines Stäbchen aus seinen Augen und fiel auch zu Boden. Das alte Väterchen erschrak, wußte nicht, was es tun sollte, und bewegte die Lippen. In diesem Moment sprang aus dem Mund des alten Väterchens ein kleines Quadrat. Das alte Väterchen faßte sich an den Mund, aber da sprang aus seinem Ärmel eine kleine Maus. Dem alten Väterchen wurde vor Schreck schlecht, und um nicht umzufallen, kauerte es sich hin. Doch da knackte etwas irn Innern des alten Väterchens, und das alte Väterchen sackte wie eine weiche Plüschjacke um. Da schnellte aus dem Hosenschlitz des alten Väterchens eine lange, lange Rute, und auf der äußersten Spitze dieser Rute saß ein zierliches Vöglein. Das alte Väterchen wollte schreien, aber seine Kiefer hatten sich verkrampft, und statt des Schreis entrang sich ihm nur ein schwacher Schluckauf, und da schloß es ein Auge. Das andere Auge des alten Väterchens blieb offen, hörte aber auf, sich zu bewegen und zu blitzen, stand schließlich reglos und trüb wie bei einem Toten. So hatte der heimtückische Tod ein altes Väterchen ereilt, das seine Stunde nicht kannte.    - (charms)

 

Vater

 

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