In Berlin fast unbemerkt führt die Münchner Süddeutschen Zeitung seit längerem einen heroischen, einsamen Krieg gegen die neue-alte Hauptstadt, nicht nur auf ihrer "Berlin-Seite" - mal giftig zischelnd, mal laut kichernd, mal mit kaum unterdrücktem historischem Pathos, mal lauthals lachend. Es ist erstaunlich, was einem Tag für Tag an Berlin alles nicht gefallen kann, es muß eine große Energie dahinter stecken. Städte sind wie Weiber und die Energie heißt einfach Eifersucht: Die heimliche Hauptstadt Westdeutschlands fühlt sich verstoßen, oder: sie hat Konkurrenz bekommen, und zwar von einer alten Preußen-Schlampe, die auch noch Geld von ihr haben will. Hauptstadt-Luder! [Leider habe ich diesen Krieg nicht von Anfang an verfolgt, was hier dokumentiert wird, ist also ziemlich zufällig ... ] |
STREIFLICHT vom 23./24.2.2002
(SZ) Am Montag kann man, wenn
man möchte, den 55. Todestag Preußens feiern. Der Aliierte Kontrollrat
löste am 25. Februar 1947 den Staat Preußen auf. Deutschland als Ganzem hat
dies nicht geschadet; Bayern, Sachsen und Österreicher erfuhren, wenn auch durch
die Macht der Befreierbesatzer, ihre Genugtuung für die Schmach von Königggrätz;
die diversen Friedrichs und Wilhelme nebst Windspielen und langen Kerls verschwanden
im Nebel der Geschichte. Jahrzehnte lang ruhte Preußen in jenen Nebeln gut,
auch wenn Großessayisten und Ausstellungsmacher hin und wieder versuchten, den
Leichnam zu reanimieren. Solange aber die Welt in Ordnung und Deutschland geteilt
war, wollte außerhalb der Feuilletons zu Recht kaum mehr jemand etwas von Preußen
wissen. Das hat sich leider geändert. Brandenburg mit seinem roten Adler ist
jetzt Bundesland; der alte Fritz ist vom dicken Helmut nach Sanssouci übergeführt
worden, und in Berlin chamissot, arnimt und schinkelt es ganz fürchterlich.
Ein unheimliches neupreußisches Gefühl durchschwurbelt Symposien, Sonntagsreden
und jene Feuilletons, denen das Genom ausgegangen ist. Zwar will man den Blut
saufenden, pickelbehaubten Reserveleutnants-Staat in seiner märkischen Familiengruft
belassen, aber dennoch stochert man in seinen Uberresten nach dem guten Preußen.
Unter anderem hat das dazu geführt, dass der brandenburgische SPD-Minister Ziel
ein neues, vielleicht einmal aus der Verschmelzung von Brandenburg und Berlin
hervorgehendes Bundesland gerne Preußen nennen möchte.
Nein, das muss nicht sein. Selbst Berlins Bürgermeister Wowereit, der sonst für viel Unsinn zu haben ist, hat sich in seiner geleierten Regierungserklärung gegen diesen Vorschlag ausgesprochen. Wenn es eines allgemein verständlichen Beweises bedarf, dass das alte Preußen in all seinen Ausprägungen mausetot ist, dann liegt der in der Betrachtung jener Symbolfiguren, die heute für Berlin und Potsdam stehen, einst die borussische Achse des Bösen. Die berühmtesten Potsdamer sind dieser Tage die am Heiligen See residierenden Günter Jauch und Wolfgang Joop. Beide stehen nicht in dem Verdacht, irgendetwas mit dem Großen Kurfürsten, Heinrich von Kleist oder Adolph von Menzel gemein zu haben. Noch deutlicher ist die Unverwandtschaft mit dem bösen und dem guten Preußen im Falle des Regierenden Bürgermeisters W. Disziplin oder Pflichtbewusstsein sind ihm fremd; Scharnhorst und Gneisenau kennt er nur als Straßennamen in Mitte und Kreuzberg. Ein preußischer Bürgermeister würde nach der Maxime "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ regieren. Wowereits Motto aber lautet: Der Bund wird‘s schon zahlen. Thüringer, Pfälzer und Hessen also können sich zurücklehnen. Mit diesen Preußen ist Preußen nicht mehr zu machen.
Auf der "Berliner Seite" vom gleichen Tag:
Heute:
Berlin Interiors
Man kann nicht eben behaupten,
dass der Potsdamer Platz architektonisch ein Augenschmaus ist. Eher wirkt er
wie ein buntes Sammelsurium. Die Debis-Zentrale erinnert mit ihren terrakottaartigen
Kacheln an einen aus der Form geratenen Tonofen und das frei schwebende Dach
des Sony-Centers imitiert eine schiefe Zirkuskuppel. Wer schon einmal im Inneren
dieses Retorten-Stadtviertels war, weiß: Es geht noch schlimmer. Niedrige Räume,
öde Teppichbeläge und das beständige Summen der Klimaanlage, weil sich kaum
ein Fenster öffnen lässt. Von diesem Wochenende an gibt es am Potsdamer Platz
aber doch einen Raum, der das Verweilen lohnt — den Kaisersaal im Hotel Esplanade,
in dem schon Kaiser Wilhelm II. gern beim Altherren-Abend saß. Das Esplanade
wurde 1908 gebaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört, nur der Kaisersaal blieb
verschont. Bei den Bauarbeiten am Potsdamer Platz wurde er auf einem Luftkissen
versetzt und anschließend aufwändig im Neobarock-Stil renoviert. In Zukunft
kann man dort nicht nur essen wie ein Kaiser — auf der Herrentoilette hängen
die Urinale von damals. Natürlich auch renoviert. - oge
Während ganz München sich in Thonet und Chippendale räkelt ...
Ebenda
findet sich, neben der Beschreibung eines Ikea-Hauses:
Es
ist ja nicht so, dass Berlin nur im Schuldenmachen Spitze ist, wie Defätisten
von Außerhalb gern behaupten. Es. gibt da noch andere herausragende Leistungen.
Die Verwendung von Diminutiven etwa (ciaoi, tschüssi) oder auch die Dichte der
Möbelhäuser. Endlich einmal führt die Stadt in einer Statistik das Feld an,
die nichts mit Filz oder Schlampereien [bekanntlich unbekannt bei Münchner
Amigos] zu tun hat. ,,Weltweiter Spitzenreiter“, ein Label, das der gebeutelten
Metropole den Selbstbewusstseins-Kick bringt, den Klaus Wowereit in seiner Regierungserklärung
nicht bieten konnte. Die Eröffnung von zwei weiteren Ikea-Filialen in Tempelhof
(2003) und Lichtenberg (2004) zusätzlich zu den beiden existierenden Würfeln,
bedeutet die uneingeschränkte globale Spitzenposition unter dend Ikea-Städten.
"Berlin ist eben ein Ballungszentrum, wir wollen kurze Wege und entspannteres
Einkaufen anbieten“, sagt Ikea-Pressesprecherin Sabine Nold. Die beiden Berliner
Neulinge werden jeweils mit einer Verkaufsfläche von 21 000 Quadratmetern aufwarten,
80 Millionen Euro investiert der schwedische Möbel-Riese in die Bauvorhaben.
Mithalten kann da nur noch Los Angeles, wo preisbewusste Möbel-Bastler Billy,
Barkaby und Bomsund ebenfalls in vier Filialen erwerben können. Aber: In Kalifornien
muss der erweiterte Vorstadtbereich mitgezählt werden. Berlin darf also mit
Fug und Recht behaupten, Ikea-Hauptstadt der Welt zu sein.
[.. Im Folgenden
kann vom Autor allerdings nicht unerwähnt bleiben, wo das erste Ikea-Haus
Deutschlands errichtet wurde. Na, wo? -] - toma
Am 19. April beschreibt Ralph Hammerthaler das Museum der Dinge im Gropius-Bau
und findet eine schöne Schlußpointe:
Bei 200 000 Objekten muss
es Favoriten geben, vielleicht sogar Fetische. Maigler sagt: Am liebsten ist
mir der Milchwächter. — Ein Milchwächter passt auf, dass die heiße Milch nicht
überquillt; man braucht ihn, eine Porzellanspirale, bloß in den Topf zu legen,
und schon balanciert er die Verhältnisse aus und verhindert chaotische Reaktionen..
Mit einem Milchwächter wäre der Stadt sehr geholfen.
Ausg. 24. April 2002:
Rotes Glück
Diese Woche teilt Robin Detje seine Gefühle mit Berlin [indem er uns aus der Berliner Boulevardpresse vorliest]
Der Frühling bringt es an den Tag: Gregor Gysi und Kati Witt sind Berlins neues rotes Hauptstadt-Traumpaar. "Auf roten Socken ins Glück“ "Rote Socken on Ice“ usw., strahlend stehen da schon all die Schlagzeilen vor uns, die uns von der großen Pleite ablenken werden, die wir erst "Große Pleite“ nennen dürfen, wenn Gerhard Schröder wiedergewählt worden ist.
Berlin, wir lieben dir wieder, du bist jetzt unser schnuckeliges Frühlingsberlin, Kati sei Dank. Obwohl sie am Werbellinsee wohnt, der vielleicht gar nicht so genau in Berlin liegt, aber egal. Wir brauchen Kati, der See wird eingemeindet. Außerdem ist es überall gefährlich wo nicht Berlin ist, das stand auch in der Zeitung: Menschenschädel in Haifischbauch gefunden, hoffentlich nicht am Werbellinsee, Kati, pass auf!
Dann leider doch wieder Verzweiflung: SAP baut Wolkenkratzer im Amüsierviertel [sic!] am Hackeschen Markt. Sieben Stockwerke! Gregor Gysi: ,,Es wurde Stillschweigen vereinbart.“ Warum? Geheimnisvoller Kati-Gysi. Die Lösung: SAP ist die badische Software-Schmiede, das hat auch mit dem Internet zu tun, der berühmten Pleitebranche. War mal Mode geht aber heute keiner mehr hin [in München ist eine solche Pleitebranche natürlich nicht ansässig]. Die Berliner Pleite ist von großer Strahlkraft. Das inspiriert! Jetzt kommen alle, die Pleite gehen wollen, auch nach Berlin [SAP nicht nach München]. Deutsche Software-Schmiede will am Hackeschen Markt Selbstmord begehen! Und der irre liebestolle Socken-Gysi holt die Pleitefirmen in die Stadt!
So geht es nicht. Kati muss sich jetzt von Gysi trennen. Dazu! Morgen!.! Mehr!!!
Und im Magazin vom 3.5.2002 finden sich schöne Grabgesänge auf das alte Westberlin (incl. neuer Westen): Lummer, Eden, Kittelmann: "Im Westen nur Altes" ...
Wird fortgesetzt....(oder doch nicht?)