Urteil, salomonisches  Der König fragte sie: »Warum seid ihr hergekommen?« Worauf der mit Yugpatschan in Streit verwickelte Hausbesitzer seine Sache vorbrachte. Der König fragte den Yugpatschan; »Hattest du das Rind geborgt?« Antwort: »Ich hatte es geborgt.« Frage: »Hast du es zurückgebracht?« Antwort: »In der Meinung, er habe es gesehen, daß ich es zurückbrachte, ließ ich es in den Hof.« Der König entschied: »Weil Yugpatschan beim Zurückbringen des Rindes dies nicht anzeigte, soll ihm die Zunge ausgeschnitten werden und weil der Hausbesitzer das zurückgekommene Rind gesehen und nicht festgebunden hat, soll ihm ein Auge ausgestochen werden.« Der Hausbesitzer sprach: »Erstens hat Yugpatschan mich um mein Rind gebracht; dann soll mir zweitens noch mein Auge ausgestochen werden; nein, lieber mag Yugpatschan den Handel gewinnen!«

Sodann sprach jener: »Gottheit! Yugpatschan hat meine Stute umgebracht.« Der König fragte den Yugpatschan: »In welcher "Weise hast du das Pferd getötet?« Antwort: »Während ich auf dem "Wege war, rief dieser Mann mir zu: /Treibe das Pferd herwärts !< Ich nahm einen Stein und warf denselben gegen das Pferd, wovon es umkam.« Der König sprach: »Weil der Herr des Pferdes gerufen hat: >Treibe das Pferd herwärts!<, soll ihm die Zunge ausgeschnitten werden; dem Yugpatschan aber soll, weil er einen Stein warf, die Hand abgehauen werden.« Da sprach jener Mensch: »Nicht nur ist mein Pferd getötet, sondern meine Zunge soll auch ausgeschnitten werden; nein, lieber mag Yugpatschan den Handel gewinnen!«

Sodann sprach der Holzarbeiter: »Weil dieser Yugpatschan mich fragte, wie tief das Wasser sei, fiel mein Beilchen, das ich im Munde hielt, ins Wasser.« Der König entschied: »Weil der Holzarbeiter Sachen, die auf den Schultern getragen werden müssen, im Munde fortbringt, sollen ihm zwei Schneidezähne ausgebrochen werden; dem Yugpatschan aber schneide man wegen seiner Frage, ob das Wasser tief sei, die Zunge aus.« Da sprach der Holzarbeiter: »Nicht nur bin ich um mein Beil gekommen, sondern ich soll mir auch die Zahne ausbrechen lassen: mag doch lieber Yugpatschan den Handel gewinnen!«

Nun sprach die Weinverkäuferin: »Yugpatschan hat meinen Sohn getötet!« Hierauf entgegnete Yugpatschan: »Weil ich ermüdet war, ging ich hin, um Wein zu fordern, und weil idi nichts sah als den Sitz, setzte ich midi auf denselben, ohne zu wissen, daß unter mir ein Kind sei, welches dadurch umkam.« Der König entschied: »Weinverkäuferin, du bist verantwortlich dafür, daß du deinen Sohn, als du ihn zum Schlafen niederlegtest, so zugedeckt hast, daß er nicht zu sehen war, und du, Yugpatschan, dafür, daß du dich hingesetzt hast, ohne den Sitz zu untersuchen; darum, Yugpatschan, werde du ihr Mann und schaffe ihr ein Kind!« Da sprach die Weinverkauferin: »Nicht nur hat er mein Kind umgebracht, sondern nun soll er gar mein Mann werden; lieber mag Yugpatschan den Handel gewinnen!«

Zuletzt klagte das Weib des Webers: »Yugpatschan hat meinen Mann getötet.« Yugpatschan entgegnete: »Weil meiner Gegner so viele wurden, ängstigte ich mich und wollte, um zu entfliehen, über eine Mauer setzen; an der Hinterseite der Mauer saß ein Mann, welchen ich nicht gesehen hatte und der davon umkam.« Der König entschied: »Gehe und nimm diesen zum Manne!« Das "Weib versetzte: »Nicht genug, daß er meinen Mann getötet hat, sondern ich soll ihn gar zum Manne nehmen; lieber mag Yugpatschan den Handel gewinnen!«

Solchergestalt schlichtete der König eines jeden Rechtshändel, ward des Yugpatschan Vertreter und befreite ihn von aller Schuld.  - Märchen aus Tibet. Hg. Helmut Hoffmann. Düsseldorf Köln 1965 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Urteil Salomon


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Weisheit

 

Synonyme
Entscheidung, salomonische