Unzeit  Die Zeit zwischen dem Erwachen und dem Ausgeschlafensein, die Zwischenzeit von dem Pulsschlag an, durch den der Liegende nach dem Schlaf sich wieder seiner bewußt wird, bis zu dem Pulsschlag, durch den auch die Sinne des Liegenden wieder zu sich kommen, so daß er wieder hören und riechen und schmecken kann, diese Zeit, sagte mein Bruder, trifft das Bewußtsein wehrlos und nackt an; da der Liegende der Sinne noch entblößt ist, kann er sich der Gedanken, die kommen, nicht mehr erwehren, während er, wenn er ausgeschlafen hat, sich gütlich mit ihnen einigen kann, indem er durch eine Mahlzeit sie abspeist, sie mit wohlschmeckenden Getränken verschüttet, durch seine tastenden Finger sie abstumpft, sie durch Reden zum Schweigen bringt, sie mit Geräuschen fesselt oder durch sonst eine sinnliche Reizung sie abschwächt; hingegen, so belehrte er mich, ist die Zeit zwischen dem Erwachen bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Liegende zu seiner Besinnung findet, die Notzeit des Erwachten, die böse Zeit, die Bußzeit, die ihn vor Scham sich krümmen läßt, die Schweißzeit, sagte er, die Zeit der Einsicht, sagte er, die klare Zeit, die Zeit der Eiszeit, die Kriegszeit, sagte er, die Unzeit.   - Peter Handke, Die Hornissen. Frankfurt am Main 1977

Unzeit (2) Fuchsius erklärt, daß viele Männer, die zur Unzeit von ihren Hämorrhoiden geheilt worden seien, von Melancholie befallen wurden und so bei ihrem Versuch, Skylla zu meiden, an Charybdis scheiterten. - (bur)

Unzeit  (3) Früher... das war eine Zeit, die vollkommen unwirklich war, die ihm entglitten war wie ein unhaltbares Gespinst aus überspannten Vorstellungen und Selbsttäuschungen. Fetzen für Fetzen war sie aus seinem Bewußtsein geschwunden, es war eine Unzeit. Die Realität, die eines Tages begonnen hatte, die ihn nach und nach eingenommen und überwältigt hatte, war schließlich allein in ihm zurückgeblieben: und jene abgeschlossene, Stück für Stück ausgelöschte Zeit kam ihm nun wie eine Fiktion vor. Dazu gehörte ein Drittel seines Lebens, viel mehr noch, fast schon die Hälfte ... und es war ihm, als habe er sich diese Zeit verspielt, und er wußte nicht mehr ihren Inhalt. In der Tat, er hatte damals - für sich selbst! - dieses Stück Leben simuliert, er wußte nicht mehr, wie es ihm hatte möglich sein können, es war ein Leben, in dem jeder Befehl... so mußte man es ausdrücken ... der es antrieb, von seiner eigenen Person gekommen war: doch war er in diesem Spiel wohl nie eine Person gewesen! Nun war es umgekehrt: er empfing alle Befehle von außen, und er war eine Person... d- (ich)
 
 

Zeitpunkt Falsch

 

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