nwissenheit   Je unwissender man von Natur ist, desto mehr Kapazität für das Wissen. Jede neue Erkenntniß macht einen viel tiefern, lebendigern Eindruck. Man bemerkt dieses deutlich beym Eintritt in eine Wissenschaft. Daher verliert man durch zu vieles Studiren an Kapazität. Es ist eine der ersten Unwissenheit entgegengesetzte Unwissenheit. Jene ist Unwissenheit aus Mangel, diese aus Überfluß der Erkenntnisse. Letztere pflegt die Symptome des Skeptizismus zu haben. Es ist aber ein unächter Skeptizismus, aus indirekter Schwäche unsers Erkenntnißvermögens. Man ist nicht im Stande die Masse zu durchdringen, und sie in bestimmter Gestalt vollkommen zu beleben: die plastische Kraft reicht nicht zu. So wird der Erfindungsgeist junger Köpfe und der Schwärmer, so wie der glückliche Griff des geistvollen Anfängers oder Layen leicht erklärbar. - Novalis, Blüthenstaub (1798)

Unwissenheit (2) Das Ungeheuer hatte den armen jungen Mann schnell gefunden und zog ihn aus seinem Loch. Und als es ihn herausgeholt hatte, sagte es ihm, daß er sein Leben behalten solle, wenn er ihm drei Fragen beantworte. Die erste war, ob Irland oder Schottland zuerst bewohnt worden sei? Die zweite war, ob der Mann für das Weib oder das Weib für den Mann gemacht sei? Die dritte war, ob zuerst die Menschen oder zuerst die Tiere geschaffen worden seien? Da der Bursche nicht imstande war, auch nur eine von diesen Fragen  beantworten, nahm der rote Riese einen Holzschlegel, schlug ihm damit auf den Kopf und verwandelte ihn in eine steinerne Säule. - (schot)

Unwissenheit  (3)  Die größte Gnade auf dieser Welt ist, so scheint es mir, das Nichtvermögen des menschlichen Geistes, all ihre inneren Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Wir leben auf einem friedlichen Eiland des Unwissens inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es ist uns nicht bestimmt, diese weit zu bereisen. Die Wissenschaften - deren jede in eine eigene Richtung zielt - haben uns bis jetzt wenig gekümmert; aber eines Tages wird das Zusammenfügen der einzelnen Erkenntnisse so erschreckende Aspekte der Wirklichkeit eröffnen, daß wir durch diese Enthüllung entweder dem Wahnsinn verfallen oder aus dem tödlichen Licht in den Frieden und die Sicherheit eines neuen, dunklen Zeitalters fliehen werden.  - H. P. Lovecraft, Ctulhus Ruf. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1929)

Unwissenheit  (4)    Ich habe meine Lust daran gehabt, zu sehen, daß irgendwo Menschen aus frommer Ergebung auch das Gelübde der Unwissenheit ablegen, wie das der Keuschheit, der Armut und der Buße. Auch dies ist eine Kasteiung unserer zügellosen Gelüste, diese Begierde zu dämpfen, die uns antreibt, Bücher zu wälzen, und die Seele dieses wollüstigen Behagens zu berauben, das uns kitzelt, wenn wir uns recht gebildet vorkommen. Und es heißt das Gelübde der Armut reich erfüllen, wenn man auch die Armut des Geistes hinzufügt. Es ist uns wenig Weisheit vonnöten, um gedeihlich zu leben. Und Sokrates lehrt uns, daß sie in uns ist, und wie wir sie in uns finden und uns mit ihr behelfen. All unsere Wissensschätze, die wir über die natürlichen hinaus sammeln, sind nahezu eitel und unnütz. Es ist schon viel, wenn sie uns nicht mehr belasten und verwirren, als sie uns dienen.  Das sind fieberhafte Ausschweifungen unseres Geistes, dieses wirrköpfigen und unruhigen Gesellen.   - (mon)

 

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