ntersuchungsrichter Bis zum Gefängnis war es noch weit, man mußte noch andere Gänge durchmessen, die unter dem Bauch des Hügels verliefen, über dem sich die Palastgebäude erhoben. Der Eparch und der Kanzler durchschritten schweigend ein Stück des Gangs und blieben dann in einer Rotunde stehen, an der vier weitere Gänge begannen. Der Eparch blickte in alle Richtungen und schnupperte in der Luft, dann wandte er sich an den Kanzler. »Vielleicht haben wir den Weg verfehlt. Ich habe den Verdacht, daß unser Gang zu den Küchen führt und nicht zu den Zellen. Es riecht in der Tat nach Essen.« Der Kanzler schnupperte jetzt auch in der Luft. »Auch ich rieche jetzt einen Essensgeruch — einen Bratengeruch würde ich sagen.«
»In Wirklichkeit ist es ein zweideutiger Geruch, denn er kann sowohl aus der Küche kommen wie aus dem Gefängnis: er kann von einem Zicklein stammen, das gerade am Spieß gebraten wird, oder von einem glühenden Eisen, das dazu benützt wird, einen Gefangenen zu foltern. Das schwache Licht verwirrt mich und ich weiß nicht, welche der vier Richtungen, die wir hier vor uns haben, ich einschlagen soll.« »Ihr mögt mir verzeihen, Herr Eparch, aber Ihr seid schon mehr als einmal zu Verhören in dieses Gefängnis gegangen, und trotzdem gelingt es Euch nicht, den Weg dorthin zu finden. Verzeiht mir nochmals, aber ich habe den Verdacht, daß Ihr nicht den mindesten Wunsch hegt, dieses Verhör zu fuhren.«
»Ich benütze jeden Vorwand, um den Weg zu verlängern, der uns vor das Angesicht
dieses Gefangenen führt. Es stimmt, daß meine Füße langsam und meine Beine schwerfällig
sind, aber du hast sehr gut verstanden: die wahren Gründe für diese Langsamkeit
sitzen in meinem Gehirn. Ich würde darum sagen, daß es an diesem Punkt das Beste
ist, einfach weiterzugehen, und wenn wir statt zum Gefängnis zu den Küchen kommen,
dann versuchen wir, vom Koch ein Stück Ziegenbraten zu ergattern und gehen dann
wieder zurück und probieren einen anderen Gang.« - Luigi Malerba, Das
griechische Feuer. Berlin 1991 (zuerst 1990)
Untersuchungsrichter (2) »Nehmen wir also
an, ich hielte irgend jemanden für einen Verbrecher, nun, wozu sollte
ich ihn dann, so frage ich Sie, vorzeitig beunruhigen, selbst wenn ich
Beweise gegen ihn in der Hand hätte? Den einen muß ich zum Beispiel so
rasch wie möglich verhaften; ein anderer aber hat einen ganz anderen
Charakter; warum sollte ich ihn dann nicht in der Stadt spazierengehen
lassen, hehe? Nein, ich sehe, daß Sie mich nicht richtig verstehen;
deshalb will ich es Ihnen ganz deutlich erklären: wenn ich ihn zum
Beispiel allzu früh hinter Schloß und Riegel setzte, gäbe ich ihm damit
sozusagen eine moralische Stütze, hehehe! Sie lachen?« Raskolnikow
dachte gar nicht daran, zu lachen; er saß mit zusammengepreßten Lippen
da und wandte den entzündeten Blick nicht von den Augen Porfirij Petrowitschs.
»Aber es ist tatsächlich so, und bei dem einen oder anderen kann das
genau das Richtige sein - denn die Menschen sind grundverschieden, und
die Praxis ist für alle gleich. Sie beliebten soeben von Beweisen zu
sprechen; aber selbst angenommen, ich hätte Beweise, so sind Beweise
doch meist eine sehr zweisdineidige Angelegenheit, mein Lieber; ich bin
zwar Untersuchungsrichter, aber trotzdem bin ich ein schwacher Mensch,
ich gebe es zu: ich möchte meine Untersuchung sozusagen mit
mathematischer Präzision durchführen; ich möchte einen Beweis in die
Hände bekommen, der schlüssig ist wie: zweimal zwei ist vier, einen
Beweis, der ein wirklicher, unmittelbarer, unbestreitbarer Beweis
Ist! Wenn ich den Mann - mag ich auch davon überzeugt sein, daß er der
Täter ist - vorzeitig hinter Schloß und Riegel setze, dann nehme ich mir
damit vielleicht die Möglichkeit, ihn endgültig zu überführen, und
warum? Ich bringe ihn sozusagen in eine klar umrissene Situation, ich
lege ihn psychologisch fest und beruhige ihn; er zieht sich in seine
Schale zurück, er begreift endlich, daß er ein Häftling
ist.«
- Fjodor M. Dostojewskij, Schuld und Sühne. München 1977 (zuerst 1866)
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