Unterhemd   Die Philosophie des Unterhemds ist die einzige Philosophie, die bleiben wird. Sie ist am eigenen Fleisch empfunden. Sie ist erschwitzt. Aus den Rippen herausgeschwitzt. Sie ist nicht die Lehre der Turnschuhe, nicht die der Gummimatten und selbst nicht die des Rhönrads, das sich für den Führer ewig dreht als Symbol seiner Vollkommenheit. Alles läuft in ihm zusammen. Das Unterhemd ist reines System. Es ist mehr als Trans-substantiation. Viel mehr. Allein seine Form, der Schnitt, das reduzierte Ärmellose, das uns fragen lässt: Worin besteht sein eigentlicher Sinn? Was hält es? Was verbirgt es? Was vermag es? Das Paradoxon des Männerunterhemds, in dem alle Formen weiblicher zu werden scheinen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Unterhemd ist das Unbewusste. Es ist das Zweigeschlechtliche und das Verdrängte. Der Körper drückt sich in ihm aus. Er drückt sich in es ein. Es darf nicht gesehen werden, und doch sehen wir es. Es ordnet sich von selbst unter. Es nimmt den Namen eines anderen an. Den Namen des Ortes, an dem es sich befindet. Es ist unter dem Hemd. Deshalb sein Name. Es versucht, den Konflikt zwischen dem Subjekt und dem Ort, an dem sich dieses Subjekt befindet, aufzulösen, indem sich das Subjekt dem Ort unterordnet. Das Chamäleon macht dasselbe. Jeder Nationalist macht dasselbe. Das ist das Unterhemd. Um dies zu beweisen, ließen sich unsere Turnergruppen im Unterhemd abbilden. Das Unterhemd kennt keine Trennung der Geschlechter. Es ist nicht die Härte des Kruppstahls, sondern die Falte des Doppelripp, die sich in ungeahnter Stabilität entwirft. Das Unterhemd weht der Philosophie als Wimpel voraus und verweist auf den Wissensfortschritt, wenn wir dereinst den uns fesselnden Begriff der Seele ablegen und das Nichtfassbare in uns umtaufen in Unterkörper. - (raf)

Unterhemd  (2)   Ein altes Unterhemd lag vor Jahren in dieser Gegend. Es war rot, nicht kaputt. Dreckig. Die Familie, der das Unterhemd gehörte, hatte das längste Auto, weil alle Kinder hintereinander lagen. Wenn es auftauchte, sah man lange sein Ende nicht. Vorne schaute ein Kinderkopf heraus und am Ende der Decken zwei Kinderbeine. Ich meinte, dies sei das längste Kind der Welt. Sie kamen an einem Tag, an dem man gar nichts erwartete, lau grau, Bauchweh. An die Vögel hatte man sich so gewöhnt, daß man sie gar nicht mehr sah. Und nun diese Kinderschlange. Wenn Frauen sich einen auf den Körper heben, so macht mich das müde, oder ich stoße sie zusammen. Das T-Shirt war rot.  - Herbert Achternbusch, Ich bin ein Schaf. Memoiren. München 1996
 

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