Unschärfe    Die Quantentheorie besagte, daß es eine zwangsläufige Unscharfe gab, eine Art Chaos im submikroskopischen Bereich der Realität. Am Anfang hatte die einfache, aber rätselhafte Beobachtung gestanden, daß Atome Energie nur in bestimmten, einzelnen Mengen absorbieren und emittieren. Man benannte die Theorie deshalb nach dem lateinischen Wort quantum, das auf Deutsch »Wieviel?« bedeutet. Ihr wichtigster Stützpfeiler war eine für den Erkenntnistheoretiker alptraumhafte Annahme, die sogenannte Unschärferelation. Sie schien dem jahrhundertealten Bestreben, die Welt in immer kleineren Einzelheiten kennenzulernen, den Garaus zu machen. Die Unschärferelation besagte, daß Wissen einen Preis hatte. Je genauer man eine Eigenschaft eines Elementarteilchens kannte - zum Beispiel die Position bei einem Elektron -, desto weniger genau konnte man eine seiner anderen Eigenschaften kennen, beispielsweise seinen Impuls. Alle wissenswerten Dinge der Welt traten in unvereinbaren Paaren auf: Energie und Zeit, Wellen und Partikel. Die Kenntnis des einen machte in gewisser Weise die Möglichkeit zunichte, das andere in Erfahrung zu bringen.

Nach dem Dänen Bohr, einem Liebhaber des Paradoxons, der zum Philosophenkönig der Quantentheorie wurde, war diese Unscharfe nicht nur das Ergebnis einer unvermeidlichen experimentellen Unzulänglichkeit - sie war schon in der Struktur der Realität selbst angelegt. Das Elektron hatte keine Position und keinen Impuls, bevor es vermessen war. In gewissem Sinn existierte das Elektron überhaupt nicht, bevor es sich nicht in einem Apparat im Labor bemerkbar gemacht hatte. Wer zum ersten Mal von der Quantentheorie höre und nicht empört sei, bemerkte Bohr einmal, der habe sie nicht richtig verstanden.

Was anstelle des Elektrons existierte, war dank eines metaphysischen Kunstgriffs die sogenannte Wellenfunktion, die alle Möglichkeiten des Elektrons umfaßte und sich über den ganzen Raum verteilte. Bohr interpretierte die Wellenfunktion als eine Messung der Wahrscheinlichkeit, ob das Elektron in dem einen oder in einem anderen Zustand war. Die Wellenfunktion lief um Ecken und durch Wände, was implizierte, daß dies in ganz seltenen Fällen auch materielle Objekte konnten. Alles war möglich. Ein Baseball konnte theoretisch durch eine flache Glasscheibe fliegen, ohne sie zu zerschmettern, und eine Fliege konnte - wiederum theoretisch - zum Mond hüpfen.  (Dank solcher Wunder funktionierten Transistoren.) In dem aktuellen Augenblick, in dem man ein Elektron oder einen Baseball untersuche, so Bohr, »kollabiere« die Wellenfunktion wie durch einen Zauber und gebe eine spezifische Antwort auf jede beliebige Frage, die man an sie gerichtet habe. Fragen mußte der Wissenschaftler allerdings, sonst gab die Natur keine Antwort. Im Durchschnitt kollabierte die Wellenfunktion entsprechend ihrem wahrscheinlichsten Wert. Indes existierte kein Gesetz, das ihr das vorschrieb.- Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München 1993

Bild Ungenauigkeit

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