nkenntnis  Die Unkenntnis besteht eigentlich in der Privation der Idee von einer Sache oder in der Privation dessen, was zur Bildung eines Urteils über diese Sache dient. Manche definieren sie als »Privation oder Negation des Wissens«. Da das Wort »Wissen« aber in seiner genauen und philosophischen Bedeutung eine zuverlässige und bewiesene Kenntnis darstellt, so würde man eine unvollständige Definition der Unkenntnis geben, wenn man sie auf das Fehlen zuverlässiger Kenntnisse beschränken wollte. Man ist doch nicht in Unkenntnis über unzählige Dinge, die man nicht beweisen kann. Die Definition, die wir - nach Wolff - in diesem Artikel geben, ist also exakter. Wir sind in Unkenntnis über eine Sache, wenn wir überhaupt keine Idee von ihr haben oder wenn wir uns gar kein Urteil über sie bilden können, obwohl wir schon irgendeine Idee von ihr haben. Wer zum Beispiel niemals eine Auster gesehen hat, ist in Unkenntnis über das Subjekt, das diesen Namen trägt. Derjenige, dem sich eine Auster zeigt, gewinnt zwar eine Idee von ihr, weiß aber noch nicht, welches Urteil er über sie fällen soll, und würde es nicht wagen, zu versichern, daß sie etwas Eßbares sei, geschweige denn ein köstliches Mahl. Weder die eigene Erfahrung noch die eines anderen liefern ihm, wenn niemand ihn über Austern unterrichtet hat, einen Anhaltspunkt für sein Urteil. Zwar kann er sich wohl vorstellen, daß die Auster gut schmeckt; aber dies ist eine Vermutung, ein Urteil aufs Geratewohl; nichts bürgt ihm vorerst für die Möglichkeit der Sache.

Die Ursachen unserer Unkenntnis liegen also: erstens in der Mangelhaftigkeit unserer Ideen; zweitens darin, daß wir den Zusammenhang der Ideen, die wir haben, nicht entdecken können; drittens darin, daß wir nicht genügend über unsere Ideen nachdenken.   - (enz)

Unkenntnis (2)  Wenn es etwas gibt, was dieses Leben uns gewährt und wofür wir den Göttern, abgesehen von Leben selbst, danken sollten, so ist es die Gabe der Unkenntnis: wir kennen weder uns selbst noch kennen wir einander. Die menschliche Seele ist ein dunkler, schleimiger Abgrund, ein Brunnen, aus dem man an der Oberfläche der Welt nie schöpft. Niemand liebte sich selbst, kennte er sich wirklich, und ohne diese aus der Unkenntnis resultierende Eitelkeit, die das Blut unseres geistigen Lebens ist, stürbe unsere Seele an Anämie. Niemand kennt den anderen, und es ist gut, daß dem so ist, denn kennte er ihn, würde er in ihm, selbst in seiner Mutter, seiner Frau oder seinem Kind, den metaphysischen Intimfeind erkennen. - Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich 2003
 
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