Fnio mystica   «In einem haben die Frauen recht. Sie haben Grund, sich über die Männer zu mokieren. Das da, nebenan die Männer, versteht so viel von der Frau. Jede Frau will auf besondere Art genommen sein. Das ist ein Kapitel, das solch Tapir nicht begreift. Die erotischen Zonen. Was glauben Sie, denkt ein Mann? Sie werden Ihre eigenen Beobachtungen haben. Das wirft sich auf die Frau, eins, zwei, drei, rauf, runter, hat seinen Genuß, und die Frau, ja die. Halb übel wird ihr, das ist nicht zu wundern. Solch Kerl verdient gar nicht, daß Frauen geschaffen sind. Das sind Freibeuter, Raubtiere ; es kommt ihnen nur auf ihren Magen an. Ich pfeife auf mich. Was habe ich von mir; ich bin kein Egoist. Mir kommt's auf mein Visavis an. Geht's ihr gut, bin ich im Himmel. Ich habe Gott zu danken, daß er mir Dinge gegeben hat, mit denen ich ihr wohltun kann. Sie meinen, ich bin ein Troubadour; Ich bin bloß kein Tapir und tobe nicht im Porzellanladen herum.» Wieder pafft er, aber nur kurze Zeit, dann sitzt er mir dicht auf der Haut: «Die erotischen Zonen bei der Frau. Bei der einen sind sie da, bei der andern da. Man muß weg von den sogenannten Genitalien. Das ist bloße Anatomie. Das ist Pöbelei. Wenn man aufmerksam ist und das Geschöpf liebt, das man vor sich hat, entdeckt man sie erst jenseits der ‹Genitalien›. Inmitten lauter Genitalien. Dem ganzen anderen Menschen fehlt der andere Mensch, dem ganzen. Ich habe jetzt eine Freundin, von der komme ich nicht los. Muß es geradezu sagen. Sie werden lachen. Ich finde kaum, wo sie Frau ist, im anatomischen Sinne. Im anatomischen Unsinne. Dabei ist sie die Sinnlichkeit an sich. Die Verbindung von Seelischem und Körperlichem im Sinnlichen, diese Unio mystica, ist bei ihr komplett gelungen. Vom Kopf bis zu den Zehen bin ich für sie da. Die Philosophen philosophieren daran vorbei; sie kennen den Tatbestand überhaupt nicht. Die Sinnlichkeit, versichere ich Sie auf mein Wort -und ich habe lange Erfahrung -, ist geheimnisvoller, rätselhafter als die apodiktischen Urteile a priori, die die Philosophen untersuchen. Das Rätsel erlebe ich bei ihr jeden Tag. Mir ist unsere Liebe ein Naturexperiment. Ich komme von ihr nicht los, weil sie mich geistig und körperlich, ich kann sagen, physisch und metaphysisch, beides, beschäftigt. Unaufhörlich. Nur wenn ich aufs Amt gehe, pausiert es. Würden Sie sie sehen, würden Sie sagen: ein Weib, eine schöne Person. Ein oder der andere würde sagen: es muß nett sein, sie zu haben. Sie zu haben. Sie hören schon den ordinären Ausdruck. Ich meine: sie zu entdecken, sich an ihr zu entdecken. Was diese Frau am Hals, an den Brüsten erlebt, leistet bei andern ein ganzes besonderes Organ nicht. Ich staune, ich staune. Vielleicht könnten Sie das in einer besonderen Sprache sagen, ich finde, es spottet jeder Beschreibung. Es ist wie ein Akt der Urzeugung. Ja, der geht, wenn wir uns sehen, vor sich. Striche über den bloßen Rücken bringen sie in Erregung, daß sie im Strom fast umkommt. Sie kommt ins Zittern - warum glauben Sie es nicht -, sie dreht mir den Rücken weg, stöhnt und muß wieder näher. Magnetismus, nein lächerlich, es ist die elementare Geburt neuer Sinne. Sie kann vor mir sitzen, unter andern, dann finden sich unsere Blicke. Ich halte sie. Ich halte sie auf Meter Entfernung während eines beliebigen Gesprächs mit andern fest, und sie kommt, ich sehe es, in Erregung, wird blaß und rot, hält sich fest auf dem Stuhl, kommt auf die Höhe, während andere neben ihr sitzen und das Gespräch weitergeht. Durch die Augen, durch Blick in Blick kann ich das bei ihr. Mit meinen Worten kann ich ihr Empfinden bis zur vollen Lust steigern. So lauert es in ihr und bricht an allen Stellen durch. Es ist mehr als Magnetisches zwischen uns, zwischen Mann und Frau überhaupt, das keiner Organe bedarf, das den ganzen, ganzen Körper zu seinem Organ umschafft. Ach. Aber -. Sie verstehen.»

Ich sehe, wie erregt er ist. Ganz blaß und zittrig ist er. Er leidet, er verzehrt sich. Es geht über seine Kraft. Ist er hörig? Wenn er zu mir spricht, sucht er Rettung. Merkwürdig starr ist sein bissiges Gesicht geworden.   - Alfred Döblin, Reise in Polen. München 1987 (zuerst 1925)

 

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