nfehlbarkeit Hilbert und gleichgesinnte Formalisten meinten, mathematisches Wissen sei absolut sicher. Wenn dieses Wissen auf Beobachtungen der wirklichen Welt beruht, kann es nicht absolut sicher sein, ebensowenig wie die Wissenschaft. Hilbert berief sich auf die menschliche Intuition, die Wissen über bestimmte mathematische Dinge vermittelt. Aber wie unterscheidet sich das von der ersten Möglichkeit? Die Begriffe, die wir formulieren können, sind das Ergebnis einer Begriffsbildung des menschlichen Gehirns. Das Gehirn ist ein Ergebnis der Evolution des Menschen und in gewisser Hinsicht eine Zusammenfassung von Information über die Umwelt, in der es sich herausbildete. Seine Komplexität ist eine Widerspiegelung der Komplexität der Umwelt, in der wir uns entwickelten.

Deshalb können diese mathematischen Eingebungen Hilberts nicht mehr Unfehlbarkeit für sich in Anspruch nehmen als Beobachtungen der materiellen Welt. Vielmehr sind sie lediglich Teilstücke der Information, die von etwas unterschiedlichen Teilen unseres Gehirns verarbeitet wird. Der Formalist ist folglich zu dem Schluß gezwungen, daß

Unfehlbarkeit (2) Nicht sehr lange vor der Vervollkommnung des Mikroskops durch den Holländer Antonie van Leeuwenhoek (1632-1723) erklärte Papst Gregor XIII. (1572-85), ein studierter Kirchenrechtler, es sei kein Tötungsdelikt, wenn man einen weniger als vierzig Tage alten Embryo abtreibe, da er ja noch nicht menschlich sei.

Dagegen nannte Gregors Nachfolger, Sixtus V. (1585-90), in seiner Bulle Effraenatum von 1588 jede Abtreibung eine Tötung, für die Arzte und Eltern mit der Exkommunikation zu bestrafen seien. Doch wenig später verwarf Gregor XIV. (1590-91) die Ansicht von Sixtus wieder wegen allzu großer Strenge und setzte dessen Bulle außer Kraft.

Die Auseinandersetzungen nahmen noch lange kein Ende. 1621 erklärte der am päpstlichen Hof hochangesehene römische Arzt Paulo Zacchia, die Anschauungen des Aristoteles über die Embryonalentwicklung seien Unsinn, das Leben beginne im Augenblick der Zeugung. Trotzdem erklärte der Vatikan die Taufe von weniger als vierzig Tage alten Fehlgeburten noch immer nicht für obligatorisch; es blieb den trauernden Eltern überlassen, ob sie die Seele ihres ungeborenen Kindes von der Erbsünde reinigen wollten oder nicht. Bei einer Fehlgeburt nach mehr als vierzig Schwangerschaftstagen sollte der Fötus vor der Bestattung getauft werden, da man annahm, daß er eine Seele habe.

Noch im 18. Jahrhundert bestritt der bedeutendste Moraltheologe der Kirche, Alfonsus Liguori, der später heiliggesprochen wurde, daß Gott dem Fötus vor dem vierzigsten Tag der Schwangerschaft eine Seele schenke. Eine Abtreibung sei zwar moralisch verwerflich, aber da es unsicher sei, wann die Seele in den Fötus gelange, sei sie unter gewissen Umständen, etwa wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel stehe, hinzunehmen. - (pan)

Unfehlbarkeit (3)  Speziell über Papst Pius IX. soll der Kurienkardinal Gustav von Hohenlohe bei seiner Ablehnung der Unfehlbarkeit ein hartes Urteil gefällt haben: "Ich brauche kein anderes Argument für mich als das einzige, dass mir in meinem ganzen Leben kein Mensch vorgekommen ist, der es mit der Wahrheit weniger genau nahm als gerade Pius IX."  - Nach: Peter Bürger, Telepolis  vom  25.10.2009

Mathematik Papst Gewißheit
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