mschwung Alischar machte sich auf den Weg, setzte sich beym Anbruch der Nacht dem Fenster des Reuchque gegenüber, das man ihm bezeichnet hatte, und wollte hier den Augenblick erwarten, wo sich Smaragdine zeigen würde, allein da er schon seit langer Zeit vor beständigem Weinen des Nachts nicht hatte schlafen können, so überfiel ihn der Schlaf auf der Straße.
Nun traf sichs aber, daß gerade zu der nämlichen Zeit ein Dieb
durch die Straße gieng. Als er Alischar eingeschlafen sah, beraubte er ihn seines
Turbans, band ihn sich selbst um den Kopf, und setzte seinen Weg fort. Smaragdine,
die in diesem Augenblick gerade am Fenster stand, und die in der Dunkelheit
durch Alischars Turban getäuscht ihren Geliebten zu erkennen glaubte, Smaragdine
rief ihm ganz leise zu: Komm, komm, ich bin bereit herabzusteigen. Das
ist ja eine sonderbare Geschichte, sagte der Dieb bey sich selbst, das muß man
benutzen. Er stellte sich also an das Fenster, nahm Smaragdine auf seine Schultern
und eilte wie ein Blitz mit ihr davon. O, sagte sie zu ihm, du ,
bist ja so stark, wie ein Pferd, und die gute Frau hatte mir doch gesagt, du
könntest kaum mehr gehen, so sehr hätte dich der Kummer geschwächt. — Von Seiten
des Diebs erfolgte hierauf keine Antwort. Da befühlte ihm Smaragdine das
Gesicht, und da sie es ganz mit Haaren bedeckt fand, bemerkte sie ihren Irrthum,
und fieng an, aus allen Kräften zu schreyen, wer bist du? wer bist du? — Schweig,
antwortete der Dieb, ich bin Hirvan der Kurde, und gehöre zur Bande des Ahmed
ed-deuf. Unsrer sind 40, alles lustige Brüder wie ich, und wir denken
uns mit dir vom Morgen bis an den Abend die Zeit zu vertreiben. — Als Smaragdine
sah, daß ihr Irrthum ihr dieses Schicksal zubereitet hatte, gab sie sich selbst
Ohrfeigen, empfahl ihre Seele Gott und ihren Leib dem Propheten. Der Dieb lief
indessen mit ihr einer Höle ausserhalb der Stadt zu, die der Oberste der Bande
allen seinen Leuten zum Stelldichein bestimmt hatte, indem er nur seine Mutter
daselbst zurückließ, um sie zu empfangen. Er hatte gerade in dieser Nacht einen
Kavalier ermordet und ausgeplündert, dessen Pferd an dem Eingang der Hole angebunden
stand, und dessen Mantelsack im Innern derselben von der Alten bewacht wurde.
Der junge Räuber überlieferte ihr Smaragdine, und eilte wieder fort, um neue
Abentheuer aufzusuchen. Ach, mein Kind, sagte die Alte zu ihr, was ist das für
ein Fest für euch, wenn diese 40 lustigen Brüder, einer nach dem andern, euch
in den Arm nehmen! Wie glücklich ist man doch, wenn man noch jung ist! — Ja,
sagte Smaragdine, indem sie sich stellte, als ob sie dieselbe Meynung mit ihr
hätte, ich verdanke dieses Glück meinem guten Stern, aber ich müßte eigentlich
wohl vorher ein wenig ins Bad gehen, um mich dieser Gunstbezeugungen
würdiger zu machen. — Ey, das ist ja recht brav gedacht, antwortete die Alte,
auch ich liebe die Reinlichkeit, aber schon seit langer
Zeit schleppen mich diese Schweine in ihrem Gefolge mit sich herum, ohne daß
ich ein Bad hätte nehmen können, denn es war niemand da, der mich gehörig abreiben
wollte. — Ich will euch diesen Dienst leisten, meine Mutter, versetzte Smaragdine,
wenn es euch gefällig ist. — Die Alte verlangte es gar nicht besser; Smaragdine
wusch sie also, rieb sie und trocknete sie so gut ab, daß der Schlaf, die gewöhnliche
Wirkung des Bads, sie gar bald überfiel. Während sie schlief, nahm Smaragdine
die Kleider und Waffen des ermordeten Kavaliers, bestieg sein Pferd, und ritt
in vollem Gallop davon, ohne zu wissen wohin. Gegen Morgen sah sie sich in einem
unangebauten Lande, in welchem keine Spur einer menschlichen Wohnung zu entdecken
war. Sie aß Wurzeln und Früchte, ließ ihr Pferd weiden, und setzte so ihren
Weg zehn ganzer Tage lang fort. Am eilften Tage erblickte sie eine schöne, sehr
anmuthig gelegene Stadt. So wie sie sich der Stadt näherte, kamen ihr eine Menge
Menschen zu Pferde und zu Fuß entgegen, warfen sich ihr zu Füßen, und begrüßten
sie als ihren von der Gnade des Himmels geschenkten Sultan und König. Jedermann
schlug in die Hände, und rief Allah jausur es Sultan, das heißt: Gott
verleih dem Sultan Sieg! König der Welt, eure Ankunft sey gebenedeiet. -
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Umschwung (2) Es gibt einen Grund, der es der Masse unmöglich macht, sich der ständig wachsenden Zahl der Irren bewußt zu werden. Wenn man auch nur allzu gern bereit ist, sich mit dem Nachbar über seine Gesundheit zu unterhalten, sei es über den Rheumatismus, über eine Magenverstimmung oder über einen gewöhnlichen Schnupfen, so spricht doch niemand von seiner eigenen Geisteskrankheit, denn dem Narren ist es eigen, zu glauben, er sei vernünftig und die andern seien verrückt.
Noch bilden die Irren eine
Minderheit, die von den Normalen hinter Schloß
und Riegel gehalten werden. Aber wir haben allen Grund zu glauben, daß eines
Tages, wenn der Wahnsinn weiter so zunimmt, die Narren
eine Mehrheit bilden, die nicht zögern wird, vorsichtshalber
die Gesunden einzusperren. - Maurice Sandoz, Am Rande. Zürich 1967
Umschwung (3)
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