mhalsen Sie kam direkt auf mich zu. Ja, das war ihr federnder, tänzerischer Gang, der rote Rock (ich hatte das Gefühl, den Stoff über ihre flachen Lederstiefel streichen zu hören), das rhythmische Wiegen ihrer Hüften, ja, das war der gelbe Gürtel, die ungebändigte schwarze Haarpracht, das hübsche Gesicht mit den baumelnden Ohrringen, die stolze, verheißungsvolle Brust.
„Belita!"
Sie hob den Kopf, warf mit dieser vertrauten Bewegung die schwarze Mähne zurück. Und dann lief sie auf mich zu, über die Rue Ulysse-Trelat, die langsam zu der Eisenbrücke hinaufführt.
„Belita!"
Ich nahm sie in die Arme, preßte sie an mich und meinen Mund auf ihre Lippen.
Sie war noch ein Kind, ein kleines Mädchen. Und manchmal benahm sie sich auch
so. Hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht an meinen Hals, ein Bein nach hinten
abgewinkelt, wie um irgend jemanden abzuwehren. Wie ein Kind, das einem um den
Hals fällt. Und so war es auch jetzt, an diesem Nachmittag im November, am Eingang
des Pont de Tolbiac, während ganz nah ein Zug über die Schienen donnerte. Ich
fühlte, wie sie zusammenzuckte, sich noch verzweifelter an mich klammerte. Ihre
Augen verloren den Glanz. Aus ihrem Mund drang ein leiser Seufzer und... mein
Mund füllte sich mit einer warmen Flüssigkeit. Belita! Ich spürte, wie meine
Kräfte versagten. Mit äußerster Anstrengung hielt ich die Zigeunerin fest. Mit
einer Hand streichelte ich ihr über den Rücken,
wie zum letzten Mal. Und meine Finger berührten den Griff eines langen feststehenden
Messers, das bis zum Heft in ihrem Rücken steckte.
- Léo Malet, Die Brücke im Nebel. Reinbek bei Hamburg 1992
Umhalsen (2) Mir träumte, ich
sei auf der Insel allein gelassen worden, und sehr einsam und verlassen saß
ich am Rand der mit braunem Abschaum bedeckten Grube. Dann merkte ich plötzlich,
daß es sehr einsam und still war, und ich begann zu zittern; denn ich spürte,
daß etwas, was ich im Tiefsten verabscheute, leise hinter mich gekommen war.
Da versuchte ich mit großer Anstrengung, mich umzudrehen und in den Schatten
zwischen den großen Pilzen, von denen ich rings umstanden war, etwas zu erkennen;
aber obgleich ich es mit aller Kraft versuchte, ich konnte mich nicht umdrehen.
Und das Wesen kam immer näher, wenn ich es auch nicht hörte, und da stieß ich
einen Schrei aus; oder versuchte es; aber meine Stimme blieb tonlos in der Stille
ringsum; und dann berührte etwas Feuchtes und Kaltes mein Gesicht und kam glitschig
auf meinen Mund, und dort blieb es einen ekelhaften, atemlosen Augenblick. Es
glitt weiter und rutschte auf meinen Hals - und blieb dort... -
W. A. Hodgson, Die
Boote der ›Glen Carrick‹, aus: W.A.H., Stimme in der Nacht. Frankfurt am Main 1982 (st 749)
Umhalsen (3)
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Max Ernst, La Femme 100 Têtes
(1929)
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