ebrigbleiben   Ebenso gut auch, wie man sagen konnte, daß sein Leben ungewöhnlich inhaltreich war, so konnte man vielleicht das Gegenteil behaupten. Es arbeitete dauernd in Grettir, aber es blieb nichts übrig. Wollte man übertreiben, so könnte man sagen, es wäre das gefüllteste Leben, das je gelebt wurde, aber das zeigte sich nicht, denn es verging, wie eine chemische Radium-Werkstätte, die tausende von Tons Uranpechblende verarbeitet und wenige Gramm Radium herausgibt.

Es war gewiß in Grettir ein Stehenbleiben vor diesem Rätsel, ob ein Mensch einfach zu strahlen und zu leuchten vermöchte, ohne daß er sichtbar wäre, daß er Menschen heilte, ohne daß man wußte, wie es geschehen wäre. Man hätte von ihm sagen können, er suchte das Rätsel zu lösen, sich in Radium zu verwandeln und dann langsam, mit menschlichem Bewußtsein geleitet, wieder zu verstrahlen, aber Grettir hätte niemals etwas der Art gesagt, weil ihm das zu große Worte von sich selbst gewesen wären. Wohl hätte er zugegeben, daß er das Große unbedingt wollte oder möchte, aber er hätte sofort wieder diesen Ausdruck ausgelöscht auf der Tafel und gesagt: Das sind so Gedanken, denen man nicht näher kommt. Man mußte sich also darauf beschränken, zu sagen, daß Grettir kaum je etwas tat, wodurch verhindert werden konnte, daß er das Große erreichte, aber ob der Weg, den er beschritt, kurz oder lang war, davon weiß natürlich niemand etwas.  - Ernst Fuhrmann, Der Geächtete. Berlin 1983 (zuerst 1930)

Übrigbleiben (2) Das ist die große Gerechtigkeit der Schöpfung, daß jeder sich die Bedingungen seines zukünftigen Seins selbst schafft. Die Handlungen werden dem Menschen nicht durch äußerliche Belohnungen oder Strafen vergolten; es gibt keinen Himmel und keine Hölle im gewöhnlichen Sinne der Christen, Juden und Heiden, wohin die Seele nach dem Tode käme; sie macht weder einen Sprung aufwärts noch einen Fall abwärts, noch einen Stillstand; sie zerplatzt nicht, sie zerrließt nicht in das Allgemeine; sondern, nachdem sie die große Stufenkrankheit, den Tod, überstanden, entwickelt sie sich nach der unwandelbaren, jede spätere Stufe über dem Grunde der früheren aufbauenden, Folgerechtigkeit der Natur auf der Erde ruhig weiter fort in einem und zu einem höheren Sein; und, je nachdem der Mensch gut oder schlecht, edel oder gemein gehandelt, fleißig oder müßig gewesen, wird er im folgenden Leben einen gesunden oder kranken, einen schönen oder häßlichen, einen starken oder schwachen Organismus als sein Eigentum finden, und seine freie Tätigkeit in dieser Welt wird seine Stellung zu den andern Geistern, seinen Schicksalsweg, seine Anlagen und Talente für das weitere Fortschreiten in jener Welt bestimmen.

Darum seid rüstig und wacker.  - Gustav Theodor Fechner, Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, in: G.T.F., Das unendliche Leben. München 1984 (Matthes & Seitz debatte 2, zuerst 1836)

Übrigbleiben (3)  Die Seelen, die massenhaft von den Sternen auf ihn herabträufeln, bringen durch ihr Verhalten die Weltkörper, denen sie entstammen, selbst in Gefahr. Es scheint, daß die Sterne recht eigentlich aus diesen Seelen bestehen; wenn diese sich in großer Zahl davonmachen, um zu Schreber zu gelangen, löst sich alles auf.

»Von allen Seiten trafen Hiobsposten ein, daß nunmehr auch dieser oder jener Stern, dieses oder jenes Sternbild habe aufgegeben werden müssen; bald hieß es, nunmehr sei auch die Venus überflutet, bald, nunmehr müsse das ganze Sonnensystem abgehängt werden, bald, die Kassiopeia - das ganze Sternbild - habe zu einer einzigen Sonne zusammengezogen werden müssen, bald, nur die Plejaden seien vielleicht noch zu retten.«

Schrebers Besorgnis für den Bestand der Weltkörper war aber nur ein Aspekt seiner Katastrophenstimmung. Viel bedeutungsvoller war eine andere Tatsache, mit der seine Krankheit begann. Sie bezog sich nicht auf die Seelen der Abgeschiedenen, mit denen er, wie man nun weiß, in ununterbrochenem Verkehr stand, sie bezog sich auf seine Mitmenschen. Diese gab es nämlich überhaupt nicht mehr: die ganze Menschheit war untergegangen. Sich selbst hielt Schreber für den einzigen übriggebliebenen, wirklichen Menschen. Die wenigen menschlichen Gestalten, die er immer noch sah, seinen Arzt und die Wärter der Anstalt oder andere Patienten zum Beispiel, hielt er für puren Schein. Es waren 'flüchtig hingemachte Männer', die man ihm bloß vormachte, um ihn zu verwirren. Sie kamen wie Schatten oder Bilder und lösten sich wieder auf, er nahm sie natürlich nicht ernst. Die wirklichen Menschen waren alle untergegangen. Der einzige, der lebte, war er.  - (cane)

Übrigbleiben (4)  Kid gab sich auf der Höhe von New York gefangen. Lord Bellomont schickte ihn nach London. Er wurde zum Galgen verurteilt. Man henkte ihn auf dem Hafendamm, auf der Galgenstätte, in seinem roten Rock und mit seinen Handschuhen. Als der Henker ihm die schwarze Kappe über die Augen zog, sträubte sich der Kapitän Kid und schrie: »Himmelherrgott! ich wußte wohl, er stülpt mir noch seinen Kübel über den Kopf.« Der schwarz angelaufene Leichnam blieb über zwanzig Jahre angekettet hängen. - Marcel Schwob, Der Roman der zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek, zuerst 1896)

Übrigbleiben (5) Typhon (der mißgebildete Sohn der Gaia und des Tartaros) und Echidna, die halb schöne Frau und halb Schlange war, zeugten die Lernäische Hydra. Hundert Köpfe gibt der Geschichtsschreiber Diodoros ihr, neun die Bibliothek des Apollodoros. Lemprière berichtet, diese zweite Ziffer werde allgemein als wahrscheinlicher betrachtet; das Grauenvolle ist, daß ihr für jeden abgeschlagenen Kopf an derselben Stelle zwei neue wuchsen. Man sagt, daß die Köpfe menschlich waren und der mittlere ewig. Ihr Atem vergiftete die Gewässer und ließ die Felder verdorren. Selbst wenn sie schlief, konnte die verpestete Luft, die sie umgab, einen Menschen töten. Hera nährte sie, damit sie sich mit Herakles messe.

Diese Schlange schien für die Ewigkeit bestimmt. Sie hauste in den Sümpfen von Lerna. Herakles und lolaos suchten sie auf; der erstere schlug ihr die Köpfe ab, der andere brannte die blutenden Wunden mit einer Fackel aus. Den letzten Kopf, der unsterblich war, begrub Herakles unter einem großen Stein, und dort, wo die Schlange begraben wurde, mag sie heute noch sein, träumend und hassend. - (bo)

Übrigbleiben (6)

 

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