rommler

Trommler

- A. Paul Weber

Trommler (2)  Er liebte  die sehr lauten Geräusche; wollte er einen Fensterladen schließen, so schlug er ihn mit aller Kraft zu, um dann mit weit aufgerissenen strahlenden Augen zu lauschen, als höre er das süßeste Echo. Eines Tages kaufte er eine Trommel, und unter den Freudensprüngen seiner Enkelin entfesselte er in dem geschlossenen Raum den Lärm eines Exerzierplatzes. Aber die Nachbarn protestierten, und selbst seine Tochter bat ihn mit Tränen in den Augen, auf diese Art von Musik zu verzichten.

Ein Kompromiß wurde geschlossen. Der Baron soll die ganze Woche über sein quälendes Bedürfnis zügeln, auf das Fell seiner Trommel zu schlagen; am Sonntag läßt er dann die Pferde vor die Kutsche spannen, steigt mit dem alten Diener ein, der die feierlich in ein rotes Tuch gehüllte Trommel auf dem Arm trägt, und verläßt das langweilige Catania, das zwar das Quietschen der Trambahn erträgt, sich aber über einen harmonischen Trommelschlag aufregt. Auf einem seiner Güter in der Ebene verläßt er den Wagen, und ehrfürchtig von den Bauern begrüßt, begibt er sich unter die Bäume, immer von dem Diener mit der rotverhüllten Trommel gefolgt. Schließlich bleibt er stehen, wickelt das Instrument aus, hängt es an seinem Gurt über die eine Schulter, erhebt die Trommelschlegel aus Ebenholz, in denen alle musikalischen Impulse einer ganzen Woche aufgespeichert erbeben. Dann plötzlich beginnt der alte Herr zu trommeln, das Kalbfell zittert und heult, die Hühner rennen nach allen Seiten davon, die Hunde laufen ihnen nach, die Stiere trollen sich: gemächlich und blinzeln nach dem roten Tuch, das auf dem Gras liegengeblieben ist, und der Diener gähnt.

Drei Stunden lang trommelt der Alte ohrenbetäubend; dann läßt er das Instrument wieder in das rote Tuch hüllen, besteigt seine Kutsche und kehrt nach Catania zurück. Wenn er den Schlag geöffnet hat und mit: einem Fuß auf dem Trittbrett steht, hält er einen Augenblick inne und fragt den Diener: »Wie war's?«

»Großartig«, antwortet ihm sein Altersgenosse, während er mit der: Linken die müde Trommel hält und mit der Rechten dem müden Trommler aus dem Wagen hilft.  - Vitaliano Brancati, Bell'Antonio. Frankfurt am Main 1961 (zuerst ca. 1950)

Trommler (3) Das Fahrzeug  ankerte vor einer Küste, die blos in einer unfruchtbaren Wüste bestand, deren Sand verschiedene Farben hatte. Siehe, da sind wir ja an unserm Ziele, sprach der Magier, wir wollen uns ausschiffen. Von jezt an also giengen sie in der Wüste, und der Perser zog eine kleine Trommel, und eine mit talismanischen Charakteren beschriebene Tafel aus der Tasche. Hierauf fieng er an, die Trommel zu rühren, und sogleich fieng der Staub an, sich von allen Seiten zu erheben. Hassan erbleichte, und bereute es schon, daß er dem Perser ans Land gefolgt war. — Fürchtet nichts, sprach der Magier, wenn ich eurer nicht bedürfte, so würde ich euch nicht haben aus dem Schiffe steigen lassen. Ihr sollt bald sehen, was dieser Staub uns für einen Vortheil verschaffen wird. — Die Staubwolke hellte sich auf, und es erschienen drey Pferde; das eine davon bestieg der Perser, das zweyte Hassan, und das dritte wurde mit ihren Lebensmitteln beladen. - (101)

Trommler (4) Die Trommeln von Calanda werden ununterbrochen, oder fast ununterbrochen, von Karfreitag- bis Karsamstagnachmittag geschlagen. Man gedenkt so der Finsternis, die sich bei Christi Tod über die Erde ausbreitete, und des Erdbebens, der Felsen, die sich lösten, des Vorhangs im Tempel, der von oben bis unten zerriß. Es ist eine eindrucksvolle, seltsam bewegende kollektive Zeremonie, deren Zeuge ich zum ersten Mal im Alter von zwei Monaten in der Wiege war. Seitdem habe ich oft daran teilgenommen, bis vor gar nicht langer Zeit, und habe viele Freunde die Trommeln erleben lassen, alle waren so beeindruckt wie ich. 1980, bei meiner letzten Spanienreise, wurden etliche Gäste auf ein mittelalterliches Schloß in der Nähe von Madrid eingeladen, und als besondere Überraschung trat eine Gruppe von Trommlern auf, die man eigens aus Calanda hatte kommen lassen. Unter den Gästen waren besonders gute Freunde wie Julio Alejandro, Fernando Rey und José Luis Barros. Alle versicherten, sie seien tief bewegt gewesen, ohne ersichtlichen Grund. Fünf gaben sogar zu, sie hätten geweint.

Ich weiß nicht, was diese Erschütterung hervorruft, die nur der vergleichbar ist, die manchmal durch Musik entsteht. Sicher wird sie durch die Pulsschläge eines geheimen Rhythmus ausgelöst, der uns von außen trifft und uns eine Art physischen Schauders vermittelt, für den es keine Erklärung gibt. Mein Sohn Jean-Louis hat einen Kurzfilm gedreht, Les tambours de Calanda, und ich selbst habe mich in mehreren meiner Filme dieser unergründlichen und unvergeßlichen Trommelschläge bedient, besonders in L'Age d'or (Das goldene Zeitalter) und Nazarin.

In meiner Jugend nahmen allenfalls zwei- bis dreihundert Leute daran teil, heute sind es mehr als tausend, sechs- bis siebenhundert Trommeln und vierhundert bombos, große Pauken.

Am Karfreitag versammelt sich die Menge gegen Mittag auf dem Hauptplatz gegenüber der Kirche. Alle warten, die Trommeln um den Hals gehängt, in tiefem Schweigen. Sollte ein Ungeduldiger vorzeitig die Trommelstöcke rühren, wird er von der Menge zum Schweigen gebracht.

Mittags beim ersten Glockenschlag legt sich ein gewaltiges Geräusch, wie ein lang rollender Donner, über das Dorf. Alle Trommeln beginnen gleichzeitig zu dröhnen. Eine undefinierbare Stimmung, die bald zu einer Art Trunkenheit wird, ergreift die Spieler. Zwei Stunden gehen so mit Trommeln dahin, dann formiert sich eine Prozession, El Pregón genannt - der pregón ist der Vortrommler, der Marktschreier -, die Prozession verläßt den Platz und zieht um das Dorf herum. Die Teilnehmer sind so zahlreich, daß die letzten den Platz noch nicht verlassen haben, wenn ihn die ersten auf der anderen Seite schon wieder erreichen.

In dieser Prozession gehen römische Soldaten mit falschen Bärten, die putuntunes genannt werden, ein Wort, dessen Klang an den Rhythmus der Trommeln erinnert, Zenturionen und eine Gestalt in einer mittelalterlichen Rüstung, Longinus. Seine Aufgabe ist es, den Leichnam des Heilands gegen die Grabschänder zu verteidigen. Er duelliert sich auch mit einem römischen General, wobei die Menge der Trommler einen Kreis um die Kämpfenden bildet. Zum Zeichen, daß er getroffen ist, dreht sich der römische General um die eigene Achse, und Longinus versiegelt das Grabmal, das er zu bewachen hat.

Christus wird dargestellt durch eine Statue, die unter einer Glasglocke ruht.

Während der ganzen Prozession psalmodiert die Menge den Text der Leidensgeschichte, in dem mehrmals der Ausdruck „die elenden Juden" vorkommt, den Johannes XXIII. gestrichen hat.

Um fünf Uhr ist alles vollbracht. Die Menge verharrt einen Augenblick in völliger Stille, dann setzen die Trommeln wieder ein und schweigen nicht mehr bis zum nächsten Mittag.

Getrommelt wird in fünf oder sechs verschiedenen Rhythmen, die sich mir unvergeßlich eingeprägt haben. Wenn zwei Gruppen, die nach verschiedenen Rhythmen trommeln, sich an einer Wegkehre begegnen, bleiben sie voreinander stehen, und es kommt zu einem regelrechten Kampf der Rhythmen, der eine Stunde und länger dauern kann, bis sich schließlich die schwächere Gruppe der stärkeren unterordnet.

Dieses Trommeln, ein unglaubliches, mächtiges, kosmisches Phänomen, das das kollektive Unbewußte anrührt, läßt den Boden unter den Füßen beben. Die ganze Nacht hindurch schwingt die Natur im Rhythmus der Trommeln. Wenn man die Hand auf die Mauer eines Hauses legt, spürt man, wie sie zittert. Wenn jemand während des Getrommels einschläft, wacht er wieder auf, wenn es sich entfernt und ihn zurückläßt.

Gegen Ende der Nacht bedecken Blutflecken die Trommelfelle. Vom Trommeln werden die Hände wund und blutig.  - Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Trommler (5)

Trommler

- Adolph von Menzel

 

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