Tritte, saugende  Da schritt es schwer, wie mit saugenden Tritten um seine Lagerstatt. Die verschränkten Arme ließ er von der Stirn, daß sie frei würde. Und die Augen sähen, was das Ohr zu deuten begann. Aber er mußte erschrecken. Riesenhaft, so nahm er es auf, riesenhaft war die Tigerin, die mit Unruhe sein Lager umschritt. Wohl verloren die Strahlen auf gelblichem Fell sich in tiefes Schwarz. Ihm aber erschien das schilfige Flackern wie spitze gespaltene Zungen riesenhafter Schlangen. (Wie mager war er! Wie bespottbar mager.) Zwei gläserne Augen standen unerbittlich in einem Kopf, der schmal und weißlich aus den Pranken über die weichzottige Wamme hervorbrach. Mit unsäglicher Geschmeidigkeit von platter Nase her, fast stirnlosem Dach der Augen, verglitt er in den Nacken, um den hartschwarz, fast klein, die dunklen Zeichen unergründlicher Zeichnungen wirbelten. Nach hinten fiel der Körper ab in leisen Linien. Geheimnisvoll leuchteten helle Seidenhaare vom Bauch herab zwischen den Schenkeln. So war das Tier, das gekommen war, ihn anzuschauen. Er aber fühlte mit Schmerz seine geringe Gestalt. Daß er nicht besser bestand, als ein guter Fraß zu sein, der blutig unter den weißen Zähnen wurde. (Die noch verborgen waren.) Er glaubte vergehen zu müssen an dem Maß, das die Schönheit des Weibes aufgerichtet. Er war so verstrickt in Unglauben, daß er mit leisestem Hauch nicht wähnen mochte, sie dächte seine Gedanken mit gleicher Beschämung für sich selber. (Kleine runde braune Brustwarzen.) Mit saugenden Tritten umkreiste die Tigerin die Lagerstatt des Mannes. Die Tieraugen waren unverwandt auf den Liegenden gerichtet. Begehrlich nach der schmalen Herzgrube. Nach einiger Zeit doch warf sich der Mann herum. Vergrub den Kopf und begann zu zittern und zu schluchzen. Mit saugenden Tritten umkreiste die Tigerin die Lagerstatt, auf der der Magere mit seinem Rücken Bauch und Brust verbarg. Well er sich verworfen fühlte. Er vergaß das Ziel der Nacht, die Übereinkunft. Sein Ohr wurde taub gegen das Geräusch der Schritte. Er verging wie ein Angeklagter, dessen Tun ein Gericht zu unfaßbaren Tatsachen entblättert. Da rührte sich keine Träne, damit Worte entständen, die das Geschehen mit einem besseren Sinn erledigten. Die Tigerin öffnete den Rachen, die weißen Zähne blitzten. Sie röhrte, röchelte, hustete tiefe klagende Laute. Die Kuppel gab den Ton zurück. Der Mann gehorchte und legte sich wieder auf den Rücken. Über seine Schenkel hinweg schob sich der mächtige Körper. Engte mit seinem Gewicht die Bauchhöhle ein. Beschwert strich ihm der Atem aus dem zitternden Munde. Seine Hände richteten sich auf. Fielen herab wie zwei Zeichen. Bleich. Verschwanden fast; wie eingesunken in der Tigerin Fell. Beklemmende, fast schmerzhafte Last ließ den bedeckten Teil seines Körpers ersterben. Es blieb nur ein ungewolltes Begehren, verborgen unter der mächtigen Fülle des sagenhaften Raubtieres. Sein Herz war rein und leer. Sein Hirn wurde aufgefordert, sich zu wappnen, daß es Befehl gäbe in alle Stationen des Leibes, willig und ohne Veränderung die Mühe zu leisten, das warme Gewicht zu tragen.    - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966(zuerst 1929)
 

Schritt Saugen

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