raumdeuter  Der Traumdeuter muß die Traumgesichte in der Weise auslegen, daß er sein Augenmerk einmal vom Anfang auf das Ende, das andere Mal vom Ende auf den Anfang lenkt; denn mitunter erhellt der Anfang das dunkle und schwer zu deutende Ende, bisweilen ist es umgekehrt. Bei den Traumgesichten, die verstümmelt sind und die man sozusagen nicht in den Griff bekommt, ist eine gewisse Kombinationsgabe vonnöten, ganz besonders bei denen, in welchen etwas Geschriebenes geschaut wird, das keinen selbständigen Gedanken enthält, oder nur ein sinnloses Wort; hier kann durch Umstellung, Änderung oder Zugabe von Buchstaben oder Silben, zuweilen auch durch Auffinden eines gleichwertigen Wortes der Zusammenhang geklärt werden.

Deshalb muß der Traumdeuter, so behaupte ich, von Haus aus eine gute Anlage mitbringen, er muß gesunden Menschenverstand und nicht nur ein Buchwissen haben; denn glaubt jemand, er könne nur mit Kunstgriffen, ohne natürliche Begabung ein Meister in diesem Fach werden, so wird er stets ein ausgemachter Stümper bleiben, und umso mehr, je festgelegter er in seiner Art ist. Denn hat man schon von Anfang an die falsche Richtung eingeschlagen, dann führt der Weg immer mehr in die Irre. Ferner halte man solche Traumgesichte für undeutbar, welche nicht vollständig wiedergegeben werden, sei es, daß dem Träumenden die Mitte oder das Ende entfallen ist. Denn der Ausgang jeder Traumwahrnehmung ist auf einen heilen Zusammenhang hin zu untersuchen, einzig das lückenlos wiedergegebene aber erschließt sich dem Verständnis. So wie die Opferpriester in den Fällen, in denen die Zeichen zweideutig sind, nicht behaupten, dieselben wären unwahr, sondern erklären, sie könnten sie aus den Opfern nicht beurteilen, so darf auch der Traumdeuter sich nicht über Traumgesichte äußern, über die er sich kein klares Urteil zu bilden vermag, noch sie aus dem Stegreif deuten, weil er selbst dadurch um seinen guten Namen kommen, der Träumende aber Schaden erleiden wird. Folgendes ist noch zu beachten: Alle Traumgesichte, die etwas Unheilvolles bedeuten, haben für den Träumenden weniger unheilvolle oder vielleicht gar keine Folgen, wenn seine seelische Stimmung dabei gehoben ist. Umgekehlt gehen alle Traumgesichte, welche etwas Gutes bedeuten, nicht in Erfüllung oder jedenfalls in geringerem Maß, wenn seine seelische Stimmung gedrückt ist. Deswegen soll man jeden einzelnen danach befragen, ob er in guter oder schlechter Gemütsverfassung geträumt hat. - (art)

Traumdeuter (2)   Der Würfelspieler hieß Jusuf Masudi  und war Traumdeuter. Er vermochte in fremden Träumen einen Hasen zu fangen, viel eher aber noch einen Menschen, und er diente bei jenem Reiter, den sie mit der Lanze durchbohrt hatten. Dieser Reiter war eine angesehene und wohlhabende Persönlichkeit, er nannte sich Avram Branković, und allein seine Windhunde waren soviel wert wie ein Lastkahn mit Schießpulver. Von ihm behauptete Masudi Unwahrscheinliches. Er beteuerte Sabljak-Pascha, daß Koen in seinem schweren Traum gerade diesen Avram Brankovic träume.

»Du sagst, daß du ein Traumdeuter bist?« fragte daraufhin der Pascha Masudi. »Kannst du dann auch diesen Traum Koëns lesen?«

»Natürlich kann ich das. Ich sehe bereits, was er träumt: da Branković stirbt, träumt er den Tod des Branković.«

Bei diesen Worten war es, als lebe der Pascha auf. »Das heißt«, schloß er schnell, »daß Koën jetzt das erleben kann, was kein Sterblicher vermag: Branković träumend, der im Sterben liegt, vermag er den Tod zu durchleben und doch selbst am Leben zu bleiben?«

»So ist es«, stimmte Masudi zu, »aber er vermag nicht zu erwachen, um uns das, was er im Traum sah, zu erzählen.«

»Dafür aber kannst du sehen, wie er diesen Tod träumt...«

»Ja, das kann ich, und ich werde euch morgen Bericht erstatten, wie ein Mensch stirbt und was er dabei fühlt...« - (pav)

Traumdeuter (3)  Wende die Methode der Zahlengleichwertigkeit  in den Fällen an, wo das Geschaute auch ohne sie dasselbe bedeutet, was die Gleichwertigkeit ergibt. So ist z.B. ein altes Weib für Kranke ein Sinnbild des Todes; denn graus ergibt 704 und he ekphora ebensoviel. Aber auch abgesehen von der Zahlengleichwertigkeit ist ein altes Weib das Symbol der Bestattung, weil es über kurz oder lang sterben muß. Solltest du einmal ein Traumgesicht nicht auslegen können, weil es unter keines der Traumdeutungsprinzipien fällt, so resigniere nicht; es gibt etliche, die vor der Erfüllung nicht zu deuten sind. Legst du sie richtig aus, so wirst du in meinen Augen unter einem glücklichen Stern stehen, legst du sie nicht aus, gleichwohl nicht ohne Sachverstand sein.

graus   Graus (= alte Frau) = γ +   + ά + ΰ + ς = 3 + 100 + 1+ 400 + 200 = 704. He ekphora (die Bestattung) = η + έ + χ +   + ο + ά = 8 +  5 + 20 +  500 + 70 + 100 + 1 = 704

  - (art)

Traumdeuter (3)  Seite 352 der Traumdeutung erklärt Freud sich außerstande, geliebte Personen dem Ehrgeiz zu opfern, einen seiner Träume vollständig zu deuten. Er kommt, Seite 371, noch einmal darauf zurück: »Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen«, und Seite 396: »Man kann sich's nicht verbergen, daß schwere Selbstüberwindung dazu gehört, seine Träume zu deuten und mitzuteilen. Man muß sich als den einzigen Bösewicht enthüllen unter all den Edlen, mit denen man das Leben teilt.« Der Autor besinnt sich beizeiten darauf, daß er verheiratet ist, Familienvater und eben jener Wiener Kleinbürger, der lange Zeit seine Ernennung zum Professor ersehnte.  - André Breton, Die kommunizierenden Röhren. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1932)

Traumdeuter (4) Im Traum sah der Wolfsmann fünf bis sieben weiße Wölfe auf einem Baum sitzen, die mit ihren großen Schwänzen und aufgestellten Ohren Füchsen oder Schäferhunden ähnlich waren. Voll Angst, von den Tieren aufgefressen zu werden, erwachte der Wolfsmann. Die Deutung des Traumes, die das darin enthaltene Märchenmotiv vom Wolf und den sieben Geißlein verwertete, kam auf kunstvollen Umwegen und Rekonstruktionen, die hier nicht wiedergegeben werden können, zu folgendem verblüffenden Resultat: Der Knabe hatte im zartesten Kindesalter den Coitus der Eltern in a tergo-Stellung gesehen und belauscht. Der Wunsch, vom Vater so wie die Mutter behandelt zu werden, erlag einer Verdrängung.  - (erot)

Traumdeuter (5)  Das Glückskind antwortete 'die goldenen Haare will ich wohl holen, ich fürchte mich vor dem Teufel nicht.' Darauf nahm er Abschied und begann seine Wanderschaft.

Der Weg führte ihn zu einer großen Stadt, wo ihn der Wächter an dem Tore ausfragte, was für ein Gewerbe er verstände und was er wüßte. 'Ich weiß alles,' antwortete das Glückskind. "So kannst du uns einen Gefallen tun/ sagte der Wächter, 'wenn du uns sagst, warum unser Marktbrunnen, aus dem sonst Wein quoll, trocken geworden ist, und nicht einmal mehr Wasser gibt.' 'Das sollt ihr erfahren,' antwortete er, 'wartet nur, bis ich wiederkomme.' Da ging er weiter und kam vor eine andere Stadt, da fragte der Torwächter wiederum, was für ein Gewerb er verstünde und was er wüßte. 'Ich weiß alles,' antwortete er. *So kannst du uns einen Gefallen tun und uns sagen, warum ein Baum m unserer Stadt, der sonst goldene Äpfel trug, jetzt nicht einmal Blätter hervortreibt.' 'Das sollt ihr erfahren,' antwortete er, 'wartet nur, bis ich wiederkomme.' Da ging er weiter, und kam an ein großes Wasser, über das er hinüber mußte. Der Fährmann fragte ihn, was er für ein Gewerb verstände und was er wüßte. 'Ich weiß alles,' antwortete er. 'So kannst du mir einen Gefallen tun,' sprach der Fährmann, 'und mir sagen, warum ich immer hin- und herfahren muß und niemals abgelöst werde.' 'Das sollst du erfahren,' antwortete er, 'warte nur, bis ich wiederkomme.'

Als er über das Wasser hinüber war, so fand er den Eingang zur Hölle. Es war schwarz und rußig darin, und der Teufel war nicht zu Haus, aber seine Ellermutter saß da in einem breiten Sorgenstuhl. 'Was willst du?' sprach sie zu ihm, sah aber gar nicht so böse aus. 'Ich wollte gerne drei goldene Haare von des Teufels Kopf,' antwortete er, 'sonst kann ich meine Frau nicht behalten.' 'Das ist viel verlangt,' sagte sie, 'wenn der Teufel heim kommt und findet dich, so geht dirs an den Kragen; aber du dauerst mich, ich will sehen, ob ich dir helfen kann.' Sie verwandelte ihn in eine Ameise und sprach 'kriech in meine Rockfalten, da bist du sicher.' 'Ja,' antwortete er, 'das ist schon gut, aber drei Dinge möchte ich gerne noch wissen, warum ein Brunnen, aus dem sonst Wein quoll, trocken geworden ist, jetzt nicht einmal mehr Wasser gibt: warum ein Baum, der sonst goldene Äpfel trug, nicht einmal mehr Laub treibt: und warum ein Fährmann immer herüber- und hinüberfahren muß und nicht abgelöst wird.' 'Das sind schwere Fragen," antwortete sie, "aber halte dich nur still und ruhig, und hab acht, was der Teufel spricht, wann ich ihm die drei goldenen Haare ausziehe.'

Als der Abend einbrach, kam der Teufel nach Haus. Kaum war er eingetreten, so merkte er, daß die Luft nicht rein war. 'Ich rieche rieche Menschenfleisch,' sagte er, 'es ist hier nicht richtig.' Dann guckte er in alle Ecken und suchte, konnte aber nichts rinden. Die Ellermutter schalt ihn aus, 'eben ist erst gekehrt!' sprach sie, 'und alles in Ordnung gebracht, nun wirfst du mirs wieder untereinander; immer hast du Menschenfleisch in der Nase! Setze dich nieder und iß dein Abendbrot.' Als er gegessen und getrunken hatte, war er müde, legte der Ellermutter seinen Kopf in den Schoß und sagte, sie sollte ihn ein wenig lausen. Es dauerte nicht lange, so schlummerte er ein, blies und schnarchte. Da faßte die Alte ein goldenes Haar, riß es aus und legte es neben sich. 'Autsch!' schrie der Teufel, 'was hast du vor?' 'Ich habe einen schweren Traum gehabt/ antwortete die Ellermutter, 'da hab ich dir in die Haare gefaßt.' 'Was hat dir denn geträumt?' fragte der Teufel. 'Mir hat geträumt, ein Marktbrunnen, aus dem sonst Wein quoll, sei versiegt, und es habe nicht einmal Wasser daraus quellen wollen, was ist wohl schuld daran?' 'He, wenn sies wüßten!' antwortete der Teufel, 'es sitzt eine Kröte unter einem Stein im Brunnen, wenn sie die töten, so wird der Wein schon wieder fließen,' Die Ellermutter lauste ihn wieder, bis er einschlief und schnarchte, daß die Fenster zitterten. Da riß sie ihm das zweite Haar aus. 'Hu! was machst du?' schrie der Teufel zornig. 'Nimms nicht übel,' antwortete sie, 'ich habe es im Traum getan.' 'Was hat dir wieder geträumt?' fragte er. 'Mir hat geträumt, in einem Königreiche stand ein Obstbaum, der hätte sonst goldene Äpfel getragen und wollte jetzt nicht einmal Laub treiben. Was war wohl die Ursache davon?' 'He, wenn sies wüßten!' antwortete der Teufel, 'an der Wurzel nagt eine Maus, wenn sie die töten, so wird er schon wieder goldene Äpfel tragen, nagt sie aber noch länger, so verdorrt der Baum gänzlich. Aber laß mich mit deinen Traumen m Ruhe, wenn du mich noch einmal im Schlafe störst, so kriegst du eine Ohrfeige.' Die Ellermutter sprach ihn zu gut und lauste ihn wieder, bis er eingeschlafen war und schnarchte. Da faßte sie das dritte goldene Haar und riß es ihm aus. Der Teufel fuhr in die Höhe, schrie und wollte übel mit ihr wirtschaften, aber sie besänftigte ihn nochmals und sprach 'wer kann für böse Träume!' 'Was hat dir denn geträumt?' fragte er, und war doch neugierig. 'Mir hat von einem Fährmann geträumt, der sich beklagte, daß er immer hin- und herfahren müßte, und nicht abgelöst würde. Was ist wohl schuld?' 'He, der Dummbart!' antwortete der Teufel, 'wenn einer kommt und will überfahren, so muß er ihm die Stange in die Hand geben, dann muß der andere überfahren, und er ist frei.' Da die Ellermutter ihm die drei goldenen Haare ausgerissen hatte und die drei Fragen beantwortet waren, so ließ sie den alten Drachen m Ruhe, und er schlief, bis der Tag anbrach. Als der Teufel wieder fortgezogen war, holte die Alte die Ameise aus der Rockfalte, und gab dem Glückskind die menschliche Gestalt zurück. 'Da hast du die drei goldenen Haare,' sprach sie, 'was der Teufel zu deinen drei Fragen gesagt hat, wirst du wohl gehört haben.' 'Ja,' antwortete er, 'ich habe es gehört und wills wohl behalten.' 'So ist dir geholfen,' sagte sie 'und nun kannst du deiner Wege ziehen.' - (grim)

Deuter Traumdeutung
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