Trauerfarben  Schoppe faßte sie auf der Schwelle beider Stuben an der Hand und fragte sie: »Nehmen Sie auch so viel Anteil an der allgemeinen Landesfreude und erwünschten Hoftrauer wie ich? Ihre Augen lassen dergleichen lesen, Frau Landphysikussin.« - »Was für einen Anteil?« sagte die Physika, ganz dumm gemacht. — »An der Lust der Hofleute, die sich ohnehin wie die Urangutangs dadurch von den Affen unterscheiden, daß sie selten Freudensprünge tun; wenigstens trommeln sie wie junge Klavieristen ihre traurigsten und ihre lustigsten Stückchen ungerührt hintereinander weg. Wenn nur dem Hofstaate nichts Herbes die Trauer versalzt! -Wünschen Sie, daß die Lieben die schwarzen Freudenkleider, worin sie, wie die Nepoten der in der leuktrischen Schlacht Gebliebnen, dem Jubel eines neuen Fürsten entgegengehen, umsonst angezogen haben? Wie?« - Unglücklicherweise versetzte sie spöttisch: »Schwarz ist hierzulande Trauerfarbe, Herr Schoppe.« - »Schwarz, Frau Doktorin?« (prallt' er staunend zurück) »Schwarz? — Schwarz ist Reisefarbe und Brautfarbe und Galafarbe und in Rom Fürstenkinderfarbe, und in Spanien ists ein Reichsgesetz, daß die Hofleute wie in Marokko die Juden*  schwarz erscheinen.

Pestslozzi, Madame - aber Malz, versteht Er mich denn?« fuhr Schoppe herum und munterte den Menschen, der seine Trommel anhatte und sie heimlich unter dem Zuge rühren wollte, um etwas vom gedämpften Leichentrommeln zu vernehmen, zum Schlegel auf, damit er vom Diskurse profitierte. - »Malz,« sagt' er lauter, »Pestalozzi bemerkt ganz gut, daß die Großen unsrer Zeit sich in Gesicht, Kleidung, Stellung, Bilderdienst, Aberglauben und Liebe zu Scharlatanen den Asiaten täglich nähern; - es spricht für Pestalozzi, daß sie den Sinesern, die sich für die Freude schwarz und für die Trauer weiß anziehen, nicht bloß Tempel und Gärten und Fratzenbilder, sondern auch eben dieses Freudenschwarz abborgen.«

Unter den Kindern — wovon die unerzognen allein noch nicht ungezogen waren - hoben sich Boerhaave, Galenus und van Swielen am meisten durch eingelegte Arbeit und Handzeichnungen, die sie von den Anwesenden mit den Fingern auf ihr Butterbrot gravierten, und Galenus wies seine satirische Projektion von der Mama, sagend: »Schau't, was Mama'n für 'ne lange Nas' an'setzt hab'.«

Der Bibliothekar, der etwas Ähnliches drehte, hielt sie, als sie hineinwollte, indem er versicherte, er lasse sie nicht, bis sie sich ergebe; dieTrauermarschsäuIe könne kaum einen Acker lang aus dem Tartarus heraus sein und geb' ihm Zeit genug. Er fuhr fort:
»Echte Trauer hingegen, Liebe, macht immer wie der Zorn bunt oder wie der Schrecken weiß; z.B. die Kreaturen eines toten Papstes trauern violett, der französische König auch, seine Frau kastanienbraun, der venezianische Senat um den Doge rot. - Allein Trauer können Sie so gut wie ich keinem Regenten verstatten; dem Hohenpriester und einem Judenkönige war sie ganz verboten; warum wollen wir der Dienerschaft mehr verstatten als dem Herrn? - Und müßte ein Landesherr, Beste, der die kostbare Land-trauer zuließe, nicht offenbar die abgestellte Privattraner aufwecken? Und könnt' er, indem er durch sein Exilium, wie Cicero durch seines, 20 000 Leute in Tiauerhabit steckte, es verantworten, daß sein letzter Akt ein droit d'Aubaine, eine Beraubung wäre und daß das Sterbebette, worauf man sonst Bedienten und Armen Kleider vermacht, ihnen welche auszöge? -Nein, Madame, das sieht wenigstens Regenten nicht ähnlich, die sogar durch ihr Sterben oft, wie Marcion3 von Christi Höllenfahrt behauptete, einen Kain, Absalon und mehrere alttestamentliche Verdammte aus der Hölle bringen in den Himmel der neuen Regierung.

Sie ergeben sich noch nicht, und der Kadaver sieht mich an wie ein Vieh; aber bedenken Sie das: Perücken- und Zeugmacher haben häufig gekrönte Häupter angefleht, ihre Produkte zu tragen, damit sie abgingen; - ein Erb-und Kronprinz zieht sich gleich am ersten frohen Huldigungs- und Regierungstage, wo er den Vorfahrer absetzt, d. h. begräbt, kohlenschwarz an, weil die schwarze Wolle wenig taugt und wenig abgeht, und ein solches Exempel beschlägt auf einmal den ganzen Hofstaat, sogar Vieh, Pauken, Kanzeln schwarz. - Nur noch ein Wort, Liebe; wahrlich es kommt noch nichts als die Chorschülerschaft. Eben deswegen wird der fürstliche Leichnam, der leicht die ganze Freude des Leichenbegängnisses stören könnte, vorher beseitigt und nur ein vakanter Kasten mitgeführt, damit der Zug keine andere pensées habe als anglaises4... - O Traute, das letzte Wort; was sehen Sie denn am Stall- und Pagenkorps? - Meinetwegen! auch ich freue mich, auf einmal so viele Menschen und Fürsten mitten unter seinen Kindern so froh zu sehen.« —

3 Seine Sekte ließ durch Christi Höllenfahrt alle Böse aus der Holle kommen, Abraham, Enocb, die Propheten etc. aber nicht. Tertull. adv. Marcion.
4 So heißen schwarze Farben.

- Jean Paul, Titan

Trauer Farbe


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