Das Tränenaas ist ein trauriges Tier. Der hervorragende Zoologe Friedrich Chr. Lesser war es, der zum ersten Mal die kümmerliche Existenz dieses von der Natur nicht gerade liebevoll bedachten Geschöpfes beobachtete und ihm seinen trefflichen Namen gab. Auf einer seiner Forschungsreisen, die der fleißige Gelehrte in den Jahren 1730/40 in Europa unternahm, begegnete er in einem Wald bei Magdeburg einem Lebewesen, das ihm nicht bekannt schien. Nicht nur, daß er es, selbst bei nachsichtigster Beurteilung, als äußerst häßlich, ja abstoßend bezeichnen mußte, galt dem frommen Forscher als bemerkenswert; das Tier - obgleich allem Anschein nach nicht erschreckt - machte den verstörtesten Eindruck. Bei näherem Betrachten ergab sich, daß aus den Augen des seltsamen Wesens unaufhörlich Tränen strömten, die sich in mehreren Rinnsalen auf dem moosigen Waldboden ausbreiteten. Lesser hat die denkwürdige Begegnung in seinerTheologia animalia, oder ... auffmercksame Betrachtung derer sonst wenig geachtteten Thieren (Frankfurt 1742), eindringlich beschrieben. Er bietet allda auch eine umfassende Darstellung der Lebensweise des Tränenaases, die wir hier nur in den wesentlichsten Punkten wiedergeben.
Überdies verdanken wir Lesser auch einige, allerdings leider unbeachtet gebliebene Hinweise auf das Vorkommen des Tieres in anderen europäischen und sogar asiatischen Ländern. Das Tränenaas ist wahrscheinlich mit vorgeschichtlichen Nashörnern verwandt, insbesonders mit dem bekannten Dicerorhinus schleiermacheri Kaup. Sein Körperbau ist nahezu unbeschreiblich, zeugt aber von dem, selbst in diesem abseitigen Fall spürbaren, zweckorientierten Walten der Natur.
Da das Tränenaas so häßlich ist, gehen ihm
andere Säuger aus dem Weg. Es hält sich also die Feinde vom Leibe, denn
welches Tier würde gerne einer derart abstoßenden Erscheinung begegnen?
So kann es ungestört seinem traurigen Wesen nachgehen. Besteht doch seine
ganze Tätigkeit darin, andauernd zu weinen.
Noch hat sich die
Wissenschaft zu wenig mit der Psychologie
der Tiere beschäftigt, so daß wir etwa über die eigentliche Ursache dieser
anhaltenden Traurigkeit nichts Bestimmtes
aussagen können. Doch scheint das Tier einfach unter seiner eigenen Häßlichkeit
zu leiden. Der Leser mag sich in die Psyche
dieses unseligen Geschöpfes versetzen! Sind wir doch schon weit entfernt
von jenen einseitigen Anschauungen, die den höheren Tieren so etwas wie
eine Seele absprachen. Gerade die Existenz des Cervus aquaplanctus Less.
beweist ja überzeugend das Gegenteil! Und so schließt sich hier ein Kreis
der in jedem Falle umsichtig waltenden Natur. Hat man auch nicht viel über
die Ernährung des Tränenaases ausmachen können, so ist doch gewiß, daß
es von wenig ergiebigen Resten und Überbleibseln lebt. So bleibt es auch
in seinem Vermehrungsbestreben äußerst
mäßig: Die meist in Paaren lebenden Tiere bringen höchstens ein Junges
zur Welt, und das unter unsäglichen Mühen. Darum nimmt es auch nicht wunder,
daß das Tränenaas, wiewohl über ganz Europa verbreitet, kaum in Erscheinung
tritt.
Dennoch war es in früheren Zeiten, ja noch tief bis ins
vorige Jahrhundert hinein, ein begehrtes Wild. Ließ sich doch sein Fleisch,
durch langes Abliegen und anschließendes Dörren an der Sonne von üblem
Geruch befreit, in zerkleinerter Form als vorzüglich mundender Brotaufstrich
verwenden. Dieser kulturhistorisch interessanten Tatsache gedenkt ja J.
W. v. Goethe in seinem bekannten Vers im Wilhelm
Meister.
Es wäre zu wünschen, daß auch dieses literarische Zeugnis,
wie so viele andere, von der Germanistik endlich in seinem zoologischen
Zusammenhang dargestellt würde.
Der Selbstmord der berühmten englischen Schauspielerin Elisabeth M. G. Lovekraft (1759-1780) fand in dieser mit Aastränen gefüllten Badewanne statt. »Sie weinte 21 Tage und 21 Nächte, bis sie der Tod erlöste«, schreibt ein Zeitgenosse in einem damaligen Boulevardblatt (British Museum, London)
|
- (
kv
)
|
|
|