Tierblick  

 

- Charles LeBrun: Ziegen-, Widder-, Schafaugen

Tierblick (2)

- Charles LeBrun: Menschen-, Affen-, Kamelaugen

Tierblick (3)   Er war ein junger und schweigsamer Mann, der in seiner Kaserne weder Feinde noch Freunde hatte. Sein rundes, sonnengebräuntes Gesicht trug den Ausdruck wachsamer Unschuld. Seine vollen Lippen waren rot, und die Ponyfransen fielen ihm dicht und braun in die Stirn. In seinen seltsam bernsteinfarbenen Augen lag jener stumme Ausdruck, den man sonst eigentlich nur bei Tieren findet. Auf den ersten Blick wirkte der Soldat Williams ein wenig schwerfällig und linkisch. Aber dieser Eindruck täuschte. Er bewegte sich mit der lautlosen Geschicklichkeit eines Raubtieres oder eines Diebes; und wiederholt kam es vor, daß Soldaten, die allein zu sein glaubten, ihn plötzlich wie aus dem Nichts neben sich auftauchen sahen. Er hatte kleine, feinknochige und überaus kräftige Hände.   - Carson McCullers, Spiegelbild im goldenen Auge. Zürich 1974 (zuerst 1941)

Tierblick (4)  So ernst, würdevoll, herrenmäßig und wohlerzogen sahen diese schönen Lastwagenpferde aus, so voll ruhiger Klugheit und Verstand, daß ich oft versucht war, mit ihnen eine Unterhaltung anzuknüpfen, wenn sie in nachdenklicher Haltung dastanden, während ihre Ladung vorbereitet wurde. Aber alles, was ich aus ihnen herausholen konnte, war nur ein freundliches Wiehern, obgleich ich viel dagegen gewettet hätte, daß ich, hätte ich nur ihre Sprache verstanden, von ihnen eine Menge nützlicher Mitteilungen über die Docks hätte erhalten können, wo sie ihr ganzes würdevolles Leben verbrachten.

Im Tier liegen unbekannte Welten von Wissen verborgen, und wenn man ein Pferd oder einen Hund bemerkt mit einem milden, ruhigen, tiefen Blick, so kann man versichert sein, es ist ein Aristoteles oder ein Kant, der in aller Ruhe über die Geheimnisse im Menschen spekuliert. Kein Philosoph vermag uns so zu begreifen wie ein Hund oder ein Pferd. Sie durchschauen uns mit einem Blick. Was ist letzten Endes ein Pferd anderes als ein vierfüßiger stummer Mensch in einem ledernen Overall, der zufällig von Hafer lebt und für seinen Herrn arbeitet, schlecht bezahlt oder ausgenutzt wie die zweibeinigen Holzhauer und Wasserschlepper? Aber selbst im Tier ist ein Hauch des Göttlichen, und das Pferd ist von einer Aura umgeben, die es ein für alle Male vor Ungerechtigkeiten schützen sollte. Und was diese majestätischen, stolzen Lastwagenpferde in den Docks angeht, so kommt es mir so vor, man würde auf den Gedanken kommen, einen Richter auf seinem Stuhl zu schlagen, wollte man in mit roher Hand ihr geheiligtes Fell berühren.  - Herman Melville, Redburn. Seine erste Reise. In: H. M., Redburn. Israel Potter. Sämtliche Erzählungen. München 1967 (zuerst 1849)

Tierblick (5)  »Die Züge der Schönheit sind aus dem Antlitz des Menschen gewichen, aber ein Tier, hier und da, erinnert daran. Alle Tiere, deren Augen auf zwei Seiten sind, haben den heiligen Blick, denn sie stehen auseinander und streben nicht zueinander, und das eine sieht nicht, was vom anderen gesehen wird, und vermischen nicht ihre Wurzeln - der Stier und der Bock, das Lamm und das Reh-«

»Wie steht's mit dem Fisch?« sagt sie * * * * * * * *. »Die Fische«, sagt er, »haben oft das Auge auf der einen Seite und das Auge auf der anderen Seite, selbst bis zum Wal, der sich mit augenloser Stirn bewegt, doch haben sie nicht den heiligen Blick, denn sie glotzen in Wasser, die kein Mensch mit Bibel oder Schwert betreten hat, und das eine Auge sieht Wasser und das andere Auge sieht Wasser, und da gibt es nichts zu erörtern - und ich wünschte«, fügt er hinzu, »deine eigenen Augen wären einander nicht so bestürzend vertraut, denn ich habe eine schreckliche Zeit damit verbracht, Heiligkeit zwischen sie zu setzen; aber dort, fürchte ich, wird sie ihrem Tod durch unnachgiebige Strangulierung begegnen.«  - (ryder)

Tierblick (6)  Der Blick von Hund, Katze, Fisch legt den Gedanken eines Gesichtspunkts nahe, eines Gesehenwerdens-von —, mithin eines reservierten Winkels, eines intimen Bereichs oder Fürsich-Seins, einer Kapelle, wo Dinge, die ich kenne, nicht sind, und wo Dinge sind, die ich nicht kenne. Ich weiß nicht, wovon ich Zeichen bin in jenem Winkel. Es gibt da eine Weise des Mich-Kennens. Und ich bin gezwungen, mich als ein Wort anzusehen, dessen Sinn in einem animalischen Gedankensystem mir unbekannt ist.

— Der Blick des anderen Lebewesens ist die seltsamste aller Begegnungen. Sich gegenseitig anschauen — Dieses geheime Einverständnis, Kollineation.
A sieht B, der A sieht. A sieht B, B sieht A. B sieht A, der B sieht. Welch ein Wunder, dieser wechselseitige Blick!

Blickt euch doch nur einmal lange an, ohne zu lachen! Wie soll man es aushalten, für kurze Zeit ineinander einbeschrieben zu sein — Dauer eines Widerspruchs?  - (pval2)

Tierblick (7)  

 

- N. N.

 

Lebensäußerung, tierische Blick

 

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