Tibeterin  Und ich komme zur reinen Tibeterin. Zu ihr gelangt man, nachdem man von einem Ende zum anderen ganz China durchquert hat Nach der peinlich sorgsamen Chinesin, - nach dem entschwundenen Mädchen, jugendlich wie ein gespannter Bogen, scheint einem nun ein Trost zuteil zu werden durch das, was man sich erhoffen mochte... Eine in feuerrote Lumpen gekleidete Frau; schönes, von der Sonne gebleichtes Rot; krapprot und violett; ein Violett, das von der scharfen Luft der hohen Gipfel gerötet ist, welche auch der Haut ihre Röte verleiht. Lebhaft und dunkelhaarig, tragen sie ihren großen silbernen Schmuck, durchsetzt mit bunten Steinen. Rot oder blau oder türkis. Viele von diesen Türkisen sind lebendig.

Die tibetische Frau ist gegen jegliche Idylle und Inbesitznahme gefeit; - besser gefeit als durch jede Moral... (und doch ist ihre Moral gastfrei, schottisch und polygam), besser als durch die Vorschriften, welche die Lamas als einzige in ihrem Lande lehren und im übrigen als erste nicht befolgen... Die tibetische Frau ist wohl geschützt, bestens immunisiert durch ihre Butter - ihre ranzige Butter uralten Brauchs. Man weiß, daß es zahlreicher Bäder bedürfte, um sie zu säubern oder zumindest ihren Geruch abzumildern. Man weiß, daß es wahrlich fremdartiger Praktiken bedürfte, um sie empfänglich zu machen für die Liebe... Doch man beläßt ihr all ihre Gebräuche, man hütet sich wohl, sie ihrer Poesie zu berauben... Aber man muß es gestehen oder es gar hinausschreien: ihr Reiz besteht aus dem, was ihre Männer, ihre Jaks, ihr Land schließlich über das Antlitz des Eindringlings ausgießen, der sich bis hierher gewagt hat.

Ihr Reiz besteht aus ihren Bergen; aus ihrem Unzugänglichen und aus der Luft all jener Gipfel, die sie gerötet und hart gemacht haben.   - Victor Segalen, Aufbruch in das Land derWirklichkeit. Frankfurt am Main und Paris 1984  (zuerst 1924)

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