Theologe, entlaufener   Ein blonder Bursche besuchte Klinkert, der mit Leib und Seele für ihn war. Der Bursche, der Struwelkopf, war Theologe gewesen. «Am Christentum ist nicht das mindeste zu studieren, es ist doch kein Buch, es sind Reden, die vernünftige oder merkwürdige Sachen raten, wie man will. Man soll die Menschen nicht damit verrückt machen. Unfaßbar, daß man sich deswegen in den Haaren gelegen hat.» «Und wie steht es mit Jesus?» «Jesus wollte Gott, den er für seinen Vater hielt, und den Cäsar, der wahrhaftig einer war, zusammen haben.» Der junge Mensch lachte fröhlich. «Und das Experiment gelang natürlich nicht. Übrigens wollte er dann auch noch das Gesetz errullen, das jüdische natürlich, das Judentum wollte er erfüllen. Es war halt ein Mensch mit seinem Widerspruch.» Klinkert drängte ihn, sich mehr darüber zu äußern, und da bekam er schöne Dinge zu hören, die ihm einige Lichter anzündeten. Der junge Bursche strampelte aber: «Nein, nein, keine Theorien mehr. Sie wollen mir eine Falle stellen. Alles menschliche Leben beginnt damit, daß man die Theoretiker totschlägt. Wenn Sie eine Ausgrabung unter dem Fundament machen, auf dem die menschliche Gesellschaft ruht, so werden Sie auf tausend ungelöste Probleme stoßen, auf Leichen, die erst die Gesellschaft möglich gemacht haben.»

Er lachte. «Man stellt keine Frage. Man beantwortet sie. Man handelt.» Und er blickte Klinkert an: «Aber das wissen Sie ja alles selbst.»

Ja, Klinkert wußte es. Das war also eine seiner Werkzeugnaturen.  - Alfred Döblin, Amazonas. Romantrilogie. München 1991 (entst. 1935-37)

 

Theologe

 

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