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johns
)
Theater (2) Vor Regane, die man ihre schönen Arme wollüstig schlängeln sieht, reißt der Herzog von Cornwall dem alten Grafen Gloucester, der sich in seinen Fesseln kaum rühren kann, ein Auge heraus. Plötzlich gehen auf der Bühne und im Saal die Lichter aus, und für einen Augenblick herrscht pechschwarze Nacht. Genauso beim zweiten Auge, und auch dieses Mal hat der Zuschauer den grausamen Eindruck, auf einmal blind geworden zu sein.
Dergestalt wurde die entgrenzte Form des Theaters, die Artaud gefordert
hatte, unversehens Wirklichkeit in einer englischen Inszenierung des König
Lear, die von vorn bis hinten sehr banal und in ihrer Dekoration platt historisierend
war. - (
leiris2
)
Theater (3) Im dritten Akt ereilt den Giovanni
aus der Stadt sein Geschick. Er sitzt beim Dorfbader, läßt sich rasieren und
streckt seine kräftigen Männerbeine behaglich auf die Vorbühne. Seine Weste
glänzt unter der Sonne Siziliens. Das Bühnenbild zeigt einen ländlichen Jahrmarkt.
In einer fernen Ecke sieht man den Hirten. Schweigend steht er inmitten der
unbekümmerten Menge. Sein Kopf ist gesenkt; langsam hebt er ihn. Unter seinem
glühenden, schweren Blick wird der Giovanni unruhig und rutscht in seinem Sessel
hin und her. Schließlich stößt er den Bader weg, springt auf und bittet mit
überschnappender Stimme den Polizisten, alle verdächtigen Gestalten vom Platz
zu entfernen. Der Hirt — di Grasso spielte ihn — überlegt eine Weile, dann erhebt
er sich lächelnd in die Luft, fliegt quer über die Bühne des Städtischen Theaters,
läßt sich auf des Giovannis Schultern nieder, beißt ihm die Gurgel durch und
saugt knurrend, mit rollenden
Augen, das Blut aus der Wunde. Der Giovanni bricht zusammen, und der Vorhang
senkt sich, unheimlich in seiner Lautlosigkeit, über den Gemordeten wie über
den Mörder. - (
babel
)
Theater (4) Mister Burkes Theater
hatte nur ein einziges Rüstzeug: eine mit Pech gefüllte Leinenmaske. Mit dieser
Maske bewaffnet ging er in nebligen Nächten aus. Mister Hare begleitete ihn.
Mister Burke wartete auf den ersten besten, der vorbeikam, eilte ihm voraus,
dann wandte er sich um und preßte ihm die Pechmaske aufs Gesicht, plötzlich
und fest. Unverzüglich bemächtigten sich die Herren Burke und Hare, einer links,
einer rechts, der Arme des Mitspielers. Die mit Pech gefüllte Leinenmaske stellte
eine großartige Vereinfachung dar; sie erstickte die Schreie und zugleich
den Atem. Mehr noch, sie war tragisch. Der Nebel verwischte
das Ungebärdige der Rolle. Manche Personen schienen Betrunkene zu spielen. - Marcel Schwob, Der Roman der
zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek, zuerst 1896)
Theater (5) Die Frauen wollten
etwas sehen, und die Luder kannten kein Erbarmen, wenn ein Dilettant aus der
Rolle fiel. Der Krieg wirkt offenbar stark auf die weiblichen Geschlechtsorgane
ein, sie verlangen nach Helden, und wer keiner ist, der muß so tun oder sich
auf ein böses und schimpfliches Ende gefaßt machen. -
(
reise
)
Theater (6)
Das Theater bedeutete mir: die unfaßbare Freiheit. Mein stärkster
Eindruck derart war der Dichter als furchtbares, zynisches Schauspiel: Frank
Wedekind. Ich sah ihn auf vielen Proben und in fast
allen seinen Stücken. Sein Bemühen war, die letzten Reste einer ehedem fest
gegründeten Zivilisation und sich selbst auf dem Theater ins Nichts aufzulösen.
-
Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit. Zürich 1992
Theater (7) Die routinierteren Darstellungsbeamten der Berliner Bühnen wurden ausgeborgt, was den Gagenetat der Bühne außerordentlich belastete. Der zuständige Direktor, der Finanzverwalter, Herr Katz, bisher Anzeigenwerber für die Zeitschrift „Das Tagebuch", ließ das geschehen. Er verstand vom Theater nichts und hatte auch, außer für jeweils neu hinzuengagierte Schauspielerinnen, kaum ein Interesse; er ist nach dem Kriege in Prag in der Welle der Parteisäuberungen als trotzkistischer „Spion" und Titoist aufgehängt worden.
Für
den höheren Stab, die Dramaturgen, die Ausstatter und
Maschinenmeister, sowie die Dramenschreiber und den ständig
anwachsenden Kreis von Bewunderern, Beratern und Freunden hatte
die Bühne eine der großen Pensionsvillen am Wannsee-Ufer gemietet;
Unterkunft, Essen und Spiele - - - alles frei. Dort, am Badestrand,
unter dem Sonnensegel entstand dann jeweils das zur Aufführung
vorbereitete Stück, in die zeitgemäße Politik interpretiert.
Gedichtet wurde beim Dauerlauf um den See, bei Hoch- und Weitsprung
und einem Unter-Wasser-Zirkus. Die Dramenschreiber waren hier
allerdings bei weitem in der Minderheit, das Gros stellten
literarische Avantageure, die von der Malik-Clique hineingeschoben
wurden, sogenannte Russen, Franzosen und Upton-Sinclair-Leser dar.
Ich nehme an, daß die meisten dieser Leute inzwischen wieder mit
Socken handeln. - Franz Jung, Der Weg nach unten. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1,
Salzhausen / Frankfurt am Main 1981
Theater (8)
Der eine sagte: »Gestern hat man mich mit ins Theater
genommen. In großen und traurigen Palästen, wo man ganz hinten das Meer und
den Himmel sieht, sprechen Männer und Frauen, ernst und traurig auch sie, aber
viel schöner und viel besser gekleidet als diejenigen, die wir überall sehen,
mit singender Stimme. Sie drohen einander, sie flehen sich an, sie geraten in
Verzweiflung und sie stützen ihre Hand oft auf einen in ihrem Gürtel steckenden
Dolch. Ach! Das ist wunderschön! Die Frauen sind viel schöner und viel größer
als diejenigen, die uns daheim besuchen, und wenn sie auch mit ihren großen
hohlen Augen und ihren glühenden Wangen schrecklich anzuschauen sind, man kann
nicht anders, man muß sie lieb haben. Man fürchtet sich, man möchte weinen,
und dennoch ist man glücklich . . . Und außerdem, was noch merkwürdiger ist,
das erweckt in einem die Lust, ebenso gekleidet zu sein, dasselbe zu sagen und
zu tun und mit der gleichen Stimme zu sprechen.« - Charles Baudelaire, Der Spleen von Paris. Zürich 1977 (Übs. Walther
Küchler)
Theater (10)
EINDRÜCKE AUS DEM THEATER Für mich ist der wichtigste in einer Tragödie der sechste Aufzug: Verbeugungen, einzeln, gemeinsam: Verbeugungen paarweise: Zertreten der Ewigkeit mit der Spitze des goldnen Pantoffels. Der Einzug im Gänsemarsch der früher Verstorbnen, Zu denken, daß sie geduldig hinter Kulissen warteten, Wahrhaft erhaben erst ist das Fallen des Vorhangs (1971) |
- Wislawa Szymborska, nach
(frach)
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