exterweiterung
Manch einer könnte zurecht Verdacht hegen, daß Aufgabe eines Kommentars
die Erweiterung des Textes sei: quasi seine imperialistische Miliz. Er möchte
etwa alle Notizen, welche der Text vielleicht auch nur aus purer ästhetischer
Wirtschaftlichkeit ausgelassen hat, wieder einholen und hereinnehmen; sodaß
nach und nach rings um diesen Mittelpunkt eine kompakte Kenntnis- und Konzept-Peripherie
zuwächst; quasi wie rings um ein nacktes und pochendes Gekröse sich Behaarung
oder proliferierende Glieder und Augen bilden; weswegen dies, sich über seine
ursprünglichen Grenzen ausdehnend, überläuft und in den Raum einbricht, weiche
gläserne Ambra, um als tonlose Kehle Planeteninsekten, Schwingen von surrenden
Galaxien zu verschlingen. Die Hypothese ist falsch und streift doch irgendeine
Wahrheit. Falsch insofern der Text nicht imstande ist, ein Adjektiv zu erfassen,
ohne es ganz schlicht zu verschlingen, aufzulösen, in sich aufzuheben; da alle
diese Erweiterungen bereits im Text enthalten sind, und es sich sowieso niemals
um eine Erweiterung handeln könnte, sondern nur darum, Textscheiben abzuschneiden
und zu isolieren und somit, falls das verstellbar wäre, den Text selbst zu kondensieren,
auszubluten, falls er Blut hätte, ihn zu töten, falls er nicht von jeher tot
wäre. Begreift also die Komik, die darin liegt, daß der Text im gleichen Maß,
wie er erweitert würde, sich einengt und zusammenzieht. Und dennoch Hegt Wahrheit
darin, wie wir nun darlegen wollen: in der Tat kann der Kommentar nicht umhin,
danach zu streben, seine Votivtäfeichen am Umkreis des Textes anzubringen, um
auf diese Weise aufmerksam zu machen, daß es die Sendung, das Schicksal des
Kommentars ist, in erster Linie die Grenzen auszuforschen, den Beginn zu erkennen;
und also sich als »außerhalb«, struktuell fremd, zu enthüllen. Daß dieses Streben
in tragischer Weise vergeblich sei, braucht man hier nicht hervorzuheben: es
mag genügen hervorzuheben, daß diese auf den Text aufzuschraubende Votivtafel
aus anderer und textfremder Materie und völlig diskontinuierlich sein müsse.
Und hier streifen wir ganz leicht das andere gewaltige Problem, was nämlich
als textfremd anzusehen sei: eine Schwierigkeit, die durch den Mangel an durchdachten
Subjektivkatalogen noch erhöht wird. Es wäre auch nichts gewonnen, wenn man
das Gegenteil annähme: daß der Text zusammengefaßt werde. Was könnte es schon
bedeuten, den Text zusammenzufassen, oder in irgendeiner Weise zu reduzieren,
wenn nicht eine Stufenfolge von Werten im Diskurs erklären zu wollen, also Besseres
und Schlechteres, Wesentliches und Zweitrangiges, Schmückendes und Grundsätzliches
zu unterscheiden? Und hier liegt der Hund begraben. Da der Text keine derartige
Analyse duldet, nicht weil man ihn als durchweg wesentlich oder primär einzuschätzen
hätte, sondern weil es durchaus nicht von der Hand zu weisen ist, daß er durch
und durch ausschmückend sei, eine unvollendbare Nichtigkeit, sodaß uns nur bleibt,
ihn anzunehmen oder abzuweisen, Doktoranden zu schenken oder Hochzeitsreisenden,
ihn zu verlieren, zu zerreißen, zu zerkauen, den Hintern damit zu wischen, den
streunenden Hunden zu geben, in Scheiße zu zerstampfen und, ad libidum, so weiter. - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main
1988 (zuerst 1969)
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