Text in Klammern   Man hat auch vorgebracht, daß der ganze Text in Klammern stehen könnte. Dies ist eine Phantasievorstellung, der man einige Aufmerksamkeit schuldet. Zweifellos leidet diese Idee unter unserer Unkenntnis der Textbegrenzungen, die uns dazu zwingt, das vorliegende Muster als repräsentativ oder doch zumindest als bezeichnend zu handhaben und überdies als gegeben anzunehmen, daß die Gesamtheit des Textes sozusagen über den ganzen Text sich verteile, ohne jedoch darin aufgelöst und verwässert zu sein. Wie dem auch sei: die Klammer könnte man jedenfalls nicht als Beginn des Textes annehmen, von dem erst zu bestimmen wäre, ob es sich um endgültigen Text handelt, oder um einen Fülltext mangels anderer Texte an einem für irgendwelche anderen Texte unbewohnbarem Raum. Man beachte jedoch folgendes: im ersteren Fall kann ich einen leisegesprochenen Text annehmen oder auch nicht mehr als ein leicht gekräuseltes Schweigen; im zweiten Fall muß ich einen sehr viel schweigsameren, nächtlicheren, zaghafteren Text als das Nichts voraussetzen; sofern zumindest, als es ihm nicht gelingt, seine ins Nichts eingeklammerte Natur zu beteuern durch Absonderung eines negativen Flüsterns, eines geformten Nichts, das FIüster-Echo eines textlichen Josaphat. Wir stellen im übrigen eine implizite Beteuerung solcherart nicht in Abrede, die indiskrete stilistische Diskretion scheint vielmehr zu bekräftigen, daß der Text irgendwie zwischen Klammern steht, so daß die Beschreibung herrührt von bewußter Unzulänglichkeit, vom Bewußtsein, daß eine Sache nur sinnvoll ist unter Bezugnahme auf etwas anderes; und die Indiskretion, wenn nicht sogar Vermessenheit in der Erkenntnis, die eigene unrichtige und erlogene Macht zu gründen auf die komplicenhafte Abwesenheit eines anderen, vermessenen und erlogenen aber dafür tatsächlich perfekten Mandanten, ruchlosen Schwelgers und ›boß‹.

Man beachte jedoch des weiteren: wenngleich es nicht nur nicht unmöglich, sondern vielmehr vernunftgemäß erscheint, daß der Text klammerhaft angehaucht ist, so könnte uns nichts als ein lächerliches Katzbuckeln vor den typographischen Traditionen dazu verleiten anzunehmen, daß es von diesen Klammern genau zwei gebe; es könnte doch sein, daß es nur eine, also die Eröffnungsklammer gäbe: und in diesem Fall stünde man vor dem sehr seltsamen Ereignis eines eingekerbten Unendlichen, quasi vor einem Stimmabfall des gesamten Universums; und der Text wäre dann ein Selbstgespräch der Welt im Lauf der Selbsteinebnung; und man betrachte, wie fein das gesponnen wird, die aus dieser hypothetischen Welt Ausgeschlossenen, kennen nichts weiter als die Anmerkung, die sie betriebsam sich selbst anheftet. Falls jedoch diese Klammer eine offene Tür am Leib des Nichts ist, dann haben wir es zu tun mit dem unausgesetzten Gepiepse, halb idiotenhaft, halb altjüngferlich, mit dem das Nichts seiner begreiflichen Ungeduld, über sich selber Rechenschaft abzulegen, frönt, in einem Diskurs, der unter den gegebenen Umständen sicherlich manchmal recht oft in Plattheiten verfällt.

Wenn aber das Gegenteil der Fall wäre; daß die Klammer geschlossen und abschließend ist? In diesem Fall müßten wir schließen, daß das Nichts und der Text, zusammenfließend und auf den Wall der Klammer zustrebend, die ihren Schwung bremst und frustriert, ein und dasselbe seien, in jedem Punkt sich dek-kend und dennoch nicht eingeklammert, außer in Bezug auf ein hypothetisches Nicht-Nichts oder einen Nicht-Text, den man sich jenseits dieses Walles vorgaukelt; dann aber würde sich von der Nicht-Klammer der Anfänge ohne Anfang ein Strom von Identitäten lösen, Nichts und Note würden sich dann gegenseitig aufnotieren und gegenseitig mit Noten versehen lassen; und alles würde gipfeln in einem irrsinnigen liturgischen Geschwafel. Beängstigende Hypothese und Stammtisch-Punkt; und man beachte noch folgende, nämlich die Hypothese, daß alle Klammern geöffnet seien, zugängliche Vulven oder abstufende Klammer-Tritte, über die der Text herabsteigt oder herunterstrudelt, von einem Klammer-Podest zum nachfolgenden, unaufhörlich sich in der nächsten Klammer und der folgenden ausbreitend; weswegen der Sinn, der unaufhörlich von einer Ebene zur anderen weitergestoßen, unaufhörlich aufgezeigt und vorgeschlagen als herabkommende unaufhörliche Anderweitigkeit, sich unaufhörlich bemühe, sich selbst zu begreifen, und der Text also eine unaufhörliche Anmerkung zu sich selber sei.    - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)

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